Mehrere ineinander verschlungene Kabel in den Farben Rot, Orange, Blau, Gelb, Grün und Lila
Wenn der Überblick verloren geht, wird das Arbeiten an elektrotechnischen Anlagen lebensgefährlich.

Die Demontage elektrischer Anlagen ist oft komplex – technisch wie organisatorisch. Ein tragischer Stromunfall beim Rückbau einer Zutrittsschleuse zeigt, wie schnell Routine zur Gefahr werden kann, wenn Verantwortlichkeiten nicht klar geregelt sind und Sicherheitsregeln nicht konsequent umgesetzt werden.

Der Unfall

Eine Umstrukturierung in einem Unternehmen machte eine Zutrittsschleuse überflüssig. Eine Elektrofirma erhielt den Auftrag, die gesamte elektrische Anlage dieser Schleuse zurückzubauen – inklusive Niederspannungsnetz aus Leitungen, Steckdosen, Beleuchtungskörpern, Schaltern und anderen Komponenten. Beim Entfernen eines 230-Volt-Kabels berührte ein junger Mitarbeiter eine spannungsführende Ader. Da er bäuchlings auf dem geerdeten Blechdach der Schleuse lag, kam es zu einer niederohmigen Körperdurchströmung. Die Folge: Herzkammerflimmern durch 230-Volt-Wechselspannung. Die notwendige Reanimation wurde erst durch die Werksfeuerwehr eingeleitet. Die Feuerwehrleute waren zwar schnell vor Ort, trotzdem waren bis dahin schon viele Minuten vergangen und die Maßnahmen blieben erfolglos. Das Herzkammerflimmern dauerte zu lange an.

Organisatorische Schwachstellen

Der Unfall offenbart Defizite in der Abstimmung zwischen mehreren beteiligten Unternehmen – auch, weil der Auftragnehmer schon seit vielen Jahren mit zahlreichen Beschäftigten beim Auftraggeber tätig war und viele Projekte erfolgreich abgeschlossen hatte. Die Firma besaß eine allgemeine Schaltberechtigung für Niederspannungsanlagen des Anlagenbetreibers. Rollen wie Anlagenbetreiber, Anlagenverantwortlicher und Arbeitsverantwortlicher waren jedoch nicht klar dokumentiert. Der Verunfallte – eine Elektrofachkraft – übernahm die Rollen des Anlagenverantwortlichen und des Arbeitsverantwortlichen gleichzeitig. Eine schriftliche Freigabe der Arbeiten lag nicht vor. Die Spannungsfreiheit wurde nicht systematisch geprüft.

Technische Komplexität unterschätzt

Die elektrische Versorgung der Schleuse war über mehrere Verteilerschränke verteilt. Einige Stromkreise waren für die Produktion erforderlich und mussten aktiv bleiben, was die Abschaltung erschwerte. Ein Kabel lag verdeckt unter Rohren auf dem Dach. Um es zu erreichen, musste der Mitarbeiter auf dem Bauch liegend arbeiten – eine gefährliche Position mit direktem Kontakt zum geerdeten Metall.

Erste Hilfe: zu spät, zu schwierig

Das Zweierteam arbeitete nicht in ständiger Ruf- und Sichtweite. Das Erkennen und die Einleitung der Ersten Hilfe sowie die Rettung vom Dach der Zutrittsschleuse verzögerten sich. Das Herzkammerflimmern bei Körperdurchströmung lässt nur wenige Minuten Zeit zur Reanimation. Das zeigt: Eine gute Vorbereitung auch der Ersten Hilfe entscheidet über Leben und Tod. Es muss klar sein, wer geeignete Ersthelfende sind, die elektrische Gefahren einschätzen können, den Notruf korrekt absetzen, die Herz-Lungen-Wiederbelebung bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes durchführen und den Standort des Defibrillators kennen. In diesem Fall war das nicht klar. Wertvolle Zeit ging verloren. Eine konkrete Absprache im Vorfeld zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer ist zwingend. Dafür ist die ergänzende Gefährdungsbeurteilung als Checkliste vor Ort das geeignete Instrument. Anhand der Checkliste lässt sich festlegen, welche Personen im Notfall wie zu informieren sind und wo welche Hilfsmittel bereitstehen.

Sicherheit braucht Struktur

Der Unfall zeigt, wie wichtig klare Zuständigkeiten, dokumentierte Freigaben und die konsequente Anwendung der 5 Sicherheitsregeln sind. Die Gefährdungsbeurteilung muss auch ungewöhnliche Szenarien wie Arbeiten auf Dächern oder in schwer zugänglichen Bereichen berücksichtigen. Sonst können tragische Unfälle wie im vorliegenden Fall die Folge sein.

Andreas Meyer