Ein Arbeiter liegt bewusstlos auf dem Boden. Unter und neben ihm Stromkabel und Klemmen.

Glücklicherweise verlaufen die meisten Stromunfälle ohne schwere Verletzungen oder bleibende ­Schäden. Nieder- und Hochspannungsunfälle können aber auch tödlich enden oder mit schwerwiegenden Folgen einhergehen, etwa ausgeprägten Verbrennungen. In Mitgliedsbetrieben der BG ETEM gab es im Jahr 2023 drei Stromunfälle mit tödlichem Ausgang, 2022 waren es zwei, 2021 sechs.

Eigenschutz geht vor

Erste-Hilfe-Maßnahmen erfolgen in der Regel in einer festgelegten Reihenfolge: An erster Stelle steht für Helfende immer der Eigenschutz. Das Besondere an Strom­unfällen: Ersthelferinnen und -helfer könnten, dürfen aber nicht auch durch den Strom in Gefahr geraten. Dafür müssen allen Beteiligten die erforder­lichen Maßnahmen bekannt und insbesondere die Spannung abgeschaltet sein, sodass helfende Personen an die Verunfallten herantreten und diese versorgen dürfen. Um auf die schwersten Verletzungen vorbereitet zu sein, ist ein ausreichendes Wissen zur Versorgung von Verbrennungen (besonders nach Hochspannungs- oder Lichtbogenunfällen) und zur Reanimation bei einem Herzkreislaufstillstand von Bedeutung. Auch sogenannte Sekundärschäden müssen bedacht und versorgt werden, beispielsweise ein Knochenbruch nach dem Sturz von einer Leiter infolge einer Schreckreaktion. Viele Kenntnisse hierzu vermittelt eine von der Unfallversicherung anerkannte Ausbildung in Erster Hilfe. Andere müssen abhängig von den betriebsspezifischen Besonderheiten selbst ergänzt werden, wobei der Betriebsarzt oder die Betriebs­ärztin unterstützen kann.

Eine weitere Besonderheit nach einem Stromunfall und überaus wichtig: Die betroffene Person muss eine ärztliche Kontrolle mit Ableitung eines EKG erhalten – auch dann, wenn keine Beschwerden vorliegen. Denn auch ein kurzer Kontakt mit Niederspannung – die häufigste Art des Stromunfalls – kann schwerwiegende Folgen haben. Genauso wie bei Hochspannungsunfällen kann ein Herzkreislaufstillstand durch Herzkammerflimmern auftreten. Daneben können mit zeitlicher Verzögerung von Minuten bis Stunden weitere Herzrhythmusstörungen entstehen. Der Herzschlag kann sich beispielsweise so verlangsamen, dass es zu Schwindel oder Bewusstlosigkeit kommt. Oder es entsteht ein unregelmäßiger Herzschlag, der ebenfalls mit Komplikationen verbunden sein kann.

Damit diese Versorgung nicht erst am Unfalltag organisiert werden muss, sollte im Vorfeld geklärt und allen Beteiligten bekannt sein, welche Ärztinnen oder Ärzte aufgesucht werden können. Bevorzugt sollte es sich dabei um besonders qualifizierte Durchgangsärzte (D-Ärzte) handeln, die von der Berufsgenossenschaft zugelassen sind. Genauso müssen Fremdfirmen über besondere Gefährdungen und die Organisation der Ersten Hilfe einschließlich der bereitgestellten Mittel (zum Beispiel AED) informiert werden.

Ein Kollege beginnt die Erste Hilfe mit dem Überstrecken des Kopfes.
Zur Atemkontrolle wird zunächst der Hals des Verletzten überstreckt und der Mund leicht geöffnet.

Ein Kollege vollzieht eine Herz-Lungen-Massage.
Die Herzdruckmassage sorgt dafür, dass der Restsauerstoff im Blut zirku­liert, und erhöht so die Überlebenswahrscheinlichkeit.

Transport

Durch den Transport der Verunfallten darf keine zusätzliche Gefährdung entstehen. Liegen sichtbare Verletzungen oder andere Beschwerden vor, die Schäden durch den Transport befürchten lassen (beispielsweise Verbrennungen, Knochenbrüche, Schwindel, Schmerzen), sollte der Rettungsdienst alarmiert und über die Umstände des Unfalls und Risikofaktoren informiert werden. Dies gilt ebenfalls, wenn der Unfallhergang vermuten lässt, dass innere Verletzungen entstanden sind. Risikofaktoren sind zum Beispiel ein Unfall mit Hochspannung, langes „Klebenbleiben“ am Strom und vorübergehende Bewusstlosigkeit. Ist das nicht der Fall, etwa bei einem zunächst folgenlosen Kontakt mit Niederspannung, kann ein Transport auf anderem Wege möglich sein, etwa mit einem Pkw. Verunfallte sollten dabei von einer anderen Person begleitet werden und nicht selbst fahren, da jederzeit Beschwerden wie Übelkeit oder Schwindel auftreten können. Auch an dieser Stelle unterstützen Betriebsarzt oder Betriebsärztin dabei, die Details zu klären und eine für den Betrieb geeignete Organisation zu finden.

Notruf: Wo geschah es? Was geschah? Wie viele Verletzte? Welche Art von Verl­etzungen? Warten auf Rückfragen!
Bewusstsein und Atmung prüfen: laut ansprechen, anfassen, rütteln
Bei fehlender Atmung: 30 x Herzdruckmassage: Hände in Brustmitte 100-120 mal pro Minute 5-6 Zentimeter tief eindrücken ...
... kombiniert mit 2 x Atemspende in Mund oder Nase.
Bei Bewusstlosigkeit und erhaltener Atmung sorgt die stabile Seitenlage dafür, dass die Atemwege frei bleiben und die Person nicht erstickt.

Ärztliche Vorstellung

Für die richtige ärztliche Bewertung des Stromunfalls sollten folgende Angaben gemacht werden (können):

  • Wie hoch und von welcher Art war die Spannung (Wechsel- oder Gleichspannung)?
  • Mit welchen Körperteilen bestand Kontakt zu den spannungsführenden Teilen (Ein- und Austrittsstelle des Stroms, um den Stromweg durch den Körper nachvollziehen zu können)?
  • Wie lange bestand dieser Kontakt?

Der Arzt oder die Ärztin werden Beschwerden wie Schmerzen, Taubheitsgefühle, Schwindel, Übelkeit, Benommenheit oder zeitweise Bewusstlosigkeit erfragen, sich nach Vorerkrankungen und Medikamenten erkundigen, eine körperliche Untersuchung durchführen, ein EKG schreiben und eventuell Blut abnehmen. Wenn keine auffälligen Befunde oder ­Risikofaktoren für Komplikationen vorliegen, können die Beschäftigten in der Regel direkt an den Arbeitsplatz zurückkehren.

Dokumentation

Die Erste Hilfe ist – wie in jedem Fall – zu dokumentieren. Schwerwiegende Unfälle können für alle Beteiligten auch auf psychischer Ebene traumatisierend wirken. Es besteht dann Bedarf für eine psychologische Erstbetreuung. Außerdem sollten alle Betroffenen in einer Unfallanzeige genannt werden. Der Unfall sollte im Anschluss analysiert und Maßnahmen sollten abgeleitet werden, die eine Wiederholung verhindern. Mit der zusätzlichen Beantwortung des technischen Fragebogens helfen Unternehmen der BG ETEM außerdem bei der allgemeinen Analyse und Aufklärung der Unfallursachen bei elektrischen Arbeits­unfällen.

Unternehmenspflichten 

Das Arbeitsschutzgesetz und die DGUV Vorschrift 1 „Grundsätze der Prävention“ verpflichten den Arbeitgeber zur Organisation der Ersten Hilfe im Unternehmen. Dies beinhaltet unter anderem:

  • die Unterweisung der Beschäftigten,
  • eine jederzeit ausreichende Zahl an anwesenden Ersthelfern,
  • die Bereitstellung von Sachmitteln wie Verbandkästen und eventuell eines automatisierten externen Defibrillators,
  • die Organisation des Transports von Verletzten
  • die Dokumentation und die Aufarbeitung des Unfalls.

Der Betriebsarzt oder die Betriebsärztin sollen hierbei unterstützen.

Die Deutsche gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) hat eine ausführliche Information zum Thema „Erste Hilfe im Betrieb“ veröffentlicht (DGUV Information 204-022), die Unternehmen über diese und weitere Pflichten aufklärt und viele hilfreiche Hinweise zur Umsetzung gibt.

Christian Fries, Dr. Christian Rückerl