Jan Hegewald stellt es schon gleich zur Begrüßung klar: „Sicherheit ist uns eine Herzensangelegenheit“, erklärt der Leiter Vertrieb & Service Deutschland für die Sicherheitstechnik und Standortleiter Krefeld der Dräger Safety AG & Co. KGaA. Und wie zum Beweis, dass es ihm mit dieser Botschaft auch wirklich ernst ist, erläutert Hegewald zunächst die Lage der Fluchtwege aus dem Gebäude am Krefelder Stadtrand – noch vor einer Präsentation über die Bedeutung des Begriffs „Vision Zero“.
Vision Zero: Dieses Leitmotiv beherrscht nicht nur die tägliche Arbeit von Jan Hegewald, sondern auch die von Health & Safety Coordinator Dennis Mussfeldt und Vision-Zero-Programmleiter Magnus Magnusson. Für Hegewald bedeutet sie: „Schaden von Beschäftigten soll niemals akzeptiert werden. Jeder Arbeitsunfall ist vermeidbar."
Vision Zero
Vision Zero ist die Vision einer Welt ohne schwere Arbeitsunfälle, tödliche Verletzungen und Berufskrankheiten. Der Begriff wurde in Deutschland Anfang der 2000er-Jahre als präventive Strategie in die gesetzliche Unfallversicherung übernommen. Die Grundannahme von Vision Zero ist, dass Menschen Fehler machen. Deshalb müssten Sicherheitssysteme so ausgestaltet sein, dass Fehler auf keinen Fall lebensbedrohliche Folgen haben.
Ein Schritt auf dem Weg zu einer Welt ohne tödliche Unfälle und schwere Verletzungen sind bei Dräger sogenannte Safety Coins. Das sind Metallmünzen mit einem Durchmesser von etwa vier bis fünf Zentimetern. Sie können von Führungskräften und ausgewählten Betriebsratsmitgliedern an Beschäftigte vergeben werden, die sich durch vorbildliches Verhalten oder bemerkenswerte Ideen für Sicherheit im Unternehmen oder im privaten Umfeld eingesetzt haben.
Andreas Brenscheidt zum Beispiel sah im Eingangsbereich eines "Gesundheitshauses" mit Arztpraxen und Apotheken eine umgeklappte Fußmatte. Darin erkannte er vor allem für ältere Menschen eine Stolpergefahr. "Ich habe daraufhin die Matte zur Seite geräumt", erzählte Brenscheidt einer Führungskraft. Warum Dräger Safety Coins auch für den Privatbereich vergibt, begründet Magnus Magnusson so: "Wir wollen richtige und gesunde Verhaltensweisen nicht am Werktor ablegen."
So habe ein Mitarbeiter bei einem Garten-Aktionstag in der Kita seines Kindes nicht nur Sicherheitsschuhe getragen, sondern die anderen Eltern zum gleichen Verhalten motiviert. Der Erfolg vieler kleiner Schritte dieser Art: „Wir verzeichnen eine deutlich steigende Meldemotivation bei Beinah-Unfällen – diese Situationen werden dadurch sicher gestaltet und es werden Ereignisse vermieden", sagt Magnusson nicht ohne Stolz.
Der Clou der Safety-Coins-Kampagne: Wer insgesamt drei Safety-Coins gesammelt hat, erwirbt damit Anspruch auf einen Tag Sonderurlaub. Bis Mitte Oktober 2023 wurden bereits rund 280 Safety-Coins an die deutschlandweit etwa 1.300 Beschäftigten ausgegeben: etwa 190 Coins für die Vermeidung von Unfällen, weitere 90 für andere sicherheitsrelevante Maßnahmen.
Kein Wunder, dass das ursprünglich bis Ende 2023 befristete Safety-Coins-Programm bei Dräger jetzt zu einer Dauereinrichtung werden soll. Jan Hegewald erklärt das Ziel: Die Beschäftigten des Unternehmens sollen „Sicherheit immer im Herzen tragen.“
Stefan Thissen
Fragen an … Andreas Brenscheidt (mit 3 Safety coins ausgezeichneter Mitarbeiter)
Wofür und mit wie vielen Safety Coins sind Sie ausgezeichnet worden?
Insgesamt mit drei Stück – für drei verschiedene Fehler, auf die ich aufmerksam wurde:
- In einem Büro wurde eine Montage verschiedener Bilder gemacht. Da lagen Gerätschaften und Leitungen, zum Beispiel für Staubsauger, quer über den Gang. Ich habe dann den vor Ort tätigen Handwerker angesprochen und ihn davon überzeugt, das Material sicher zu lagern, um ihn und andere Personen vor Unfällen zu schützen.
- Den zweiten Coin bekam ich für Aufmerksamkeit im privaten Umfeld, von der ich im Unternehmen berichtet habe: In einem „Gesundheitshaus“ mit Arztpraxen und Apotheke war im Eingangsbereich mit Schiebetür die Fußmatte umgeklappt, sodass eine Stolpergefahr bestand. Die Matte habe ich zur Seite geräumt.
- An einer Baustelle waren die Absicherungen vom Wind umgestoßen. Das danebenstehende Firmenfahrzeug war beschädigt, es stand aber eine Telefonnummer auf der Seite. Ich habe dort angerufen, den Schaden am Auto gemeldet und zugleich darauf hingewiesen, dass die Baustellenabsperrung auf der Fahrbahn liegt. Ich habe sie nach Rücksprache mit der Firma entfernt.
In welchem Zeitraum haben Sie die Safety Coins gesammelt?
Im Laufe etwa eines Jahres. Besonders schön fand ich, dass die Aktion unter den Kolleginnen und Kollegen wie eine Challenge war, die richtig zum Mitmachen animiert hat. Auch bei den Dräger-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern im Ausland kam das gut an.
Wenn es das Programm nicht mehr gäbe: Hätten Sie trotzdem künftig offenere Augen für den Arbeitsschutz?
Ja, definitiv. Ich hatte in einem anderen beruflichen Umfeld mal einen schweren Unfall, bei dem ich von einem Fahrzeug überrollt wurde. Aufgrund dieser Erfahrung und des Safety-Coins-Programms fällt es mir noch leichter, gefährliche Situationen zu beseitigen oder andere darauf hinzuweisen – auch im privaten Umfeld.
Fragen an … Dennis Mussfeldt (Health & Safety Coordinator)
Seit wann gibt es das Safety-Coins-Programm?
Seit Mai 2021 – und soll von einer Aktion in ein Programm überführt und ohne zeitliche Begrenzung fortgesetzt werden.
Wie stark müssen die Leistungen von Beschäftigten für einen Safety Coin über das Erwartbare hinausgehen?
Der von uns entwickelte Vergabeleitfaden gibt vor, dass das Verhalten über das ohnehin geforderte Maß hinausgehen muss. Grundlage ist zum Beispiel die Tätigkeitsbeschreibung. Sofern das Verhalten bezogen auf den Arbeits- und Gesundheitsschutz also nicht erwartet oder vorausgesetzt wurde, kann es zu einer Vergabe kommen.
Wie läuft das Verfahren ab?
Einen Safety-Coin kann man auf unterschiedlichen Wegen erhalten. Entweder die Führungskraft beziehungsweise ein Vergabeberechtigter erkennt ein vergabewürdiges Verhalten oder wird darüber informiert. Außerdem kann sich eine Person selbst aufgrund einer Handlung für einen Safety-Coin vorschlagen. „Tue Gutes und sprich darüber“. Die vergabeberechtigte Person übergibt direkt im Anschluss den Safety-Coin aus dem eigenen Bestand. Nach der erfolgten Vergabe wird das Safety-Coin-Team informiert und lässt der ausgezeichneten Person ein passendes Etui beziehungsweise beim 3. Coin eine Urkunde zukommen.
Wie fördern Sie die sogenannte intrinsische Motivation, also die Bereitschaft, sich für Arbeitsschutz auch ohne Belohnung einzusetzen?
Das Bewusstsein für Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz wird bei uns ständig gefördert. Wir möchten, dass sich jeder Mitarbeitende seiner Rolle auf dem Weg zur Vision Zero bewusst ist und aktiv mitwirkt. Wir leben es vor!
Ein Ereignis, bei dem ein Kollege eine Unfallstelle auf der Autobahn vorschriftsmäßig abgesichert hat, hat gezeigt, dass viele andere Kolleginnen und Kollegen das Verhalten als nachahmungswürdig empfinden, Ihnen selbst aber das Wissen fehlt, ebenso zu handeln. Als eine Maßnahme haben wir uns im Rahmen eines Newsletters umfassend mit der ordentlichen Absicherung von Unfallstellen im Straßenverkehr beschäftigt. Die Resonanz war super. So wird der eigene Antrieb gestärkt, sich für das Thema Arbeits- und Gesundheitsschutz zu interessieren und auch andere zu begeistern.
Kann man auch nach einem dritten Safety-Coin und einem Tag Sonderurlaub weiter an dem Programm teilnehmen?
Ja, eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter kann auch weiter Safety-Coins sammeln und theoretisch auch noch einen zweiten Urlaubstag gewinnen.
Fragen an … Jan Hegewald (Standortleitung Dräger Krefeld, Leitung Vertrieb & Service Dräger Sicherheitstechnik Deutschland)
Was bedeutet die Vision Zero für das Unternehmen Dräger, speziell die Dräger Safety AG & Co.KGaA?
Vision Zero ist eine Selbstverpflichtung, auf Menschen aufzupassen. Unser Motto „Wir akzeptieren nicht, dass bei uns Menschen zu Schaden kommen“ sagt es kurz und einfach aus. Dabei ist „bei uns“ auch egal, wo – auf dem Betriebsgelände, bei Kunden oder im privaten Umfeld. Die Vision Zero ist ein wichtiger Bestandteil unserer Strategie und dient als Orientierung bei unternehmerischen und strategischen Entscheidungen.
Welche Rolle spielt sie in der täglichen Arbeit?
Jeder Arbeitsunfall ist einer zu viel. Wir wollen Sicherheit. Keine Kompromisse. Das bedeutet, dass wir ganz selbstverständlich immer und überall Arbeitssicherheit leben und fördern. Die Safety-Coins sind ein gutes Beispiel dafür, wie wir die Vision Zero in unsere tägliche Arbeit einfließen lassen. Ein wenig ist es wie das Anschnallen im Auto – jeder macht es ganz unbewusst und man fühlt sich unwohl, wenn man nicht angeschnallt ist.
Mit welchen Mitteln oder Medien vermitteln Sie die Ziele der Vision Zero?
Ganz viel ist Vorleben, Machen und einfach von Mensch zu Mensch. Eine Kollegin oder einen Kollegen ansprechen, einen Hinweis geben oder einen Tipp abholen. In jedem Meeting und vor jeder Besprechung haben wir einen „Safety Moment“, da sprechen wir kurz über Arbeitssicherheit und was man erlebt hat. Daneben gibt es natürlich auch klassische Informationen und Medien wie Newsletter, Intranetseiten oder Informationen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Hier hilft uns auch der Safety-Coin, das Thema bekannter zu machen und sichtbar zu halten.
Wie reagieren die Beschäftigten auf das Engagement des Unternehmens in dieser Frage?
Am Anfang sicherlich neugierig, aber auch teilweise etwas teilnahmslos. Betrifft mich das? Was bedeutet Vision Zero? Wieder ein neues Projekt? Mit der Zeit und mit guten Beispielen, mit Vorbildfunktionen und Kommunikation merken die Kolleginnen und Kollegen, dass wir es wirklich ernst meinen mit der Arbeitssicherheit und dem Wohlbefinden. Kein Marketing, kein Projekt, sondern eine Vision. Eine Kulturveränderung. Das braucht Zeit und Vertrauen. Mein Gefühl ist, dass es Stück für Stück besser angenommen wird - und irgendwann ist es wie das Anschnallen im Auto.
Wie hat sich das Engagement für die Vision Zero auf die Unfallzahlen in Ihrem Unternehmen ausgewirkt?
Vision Zero ist eine Vision. Alles, was wir positiv für die Arbeitssicherheit und den Gesundheitsschutz tun, bringt uns der Vision ein Stück näher. Klar braucht es Kennzahlen in der Unternehmenssteuerung und um Arbeitssicherheit als System zu betreiben. Nicht aber für die Vision Zero. Ich bin der festen Überzeugung, dass ein Kulturwandel Vision Zero nicht messbar ist, sondern es stellt sich ein, es bewegt die Menschen und motiviert uns, entsprechend zu handeln und zu denken. Sicherheit. Keine Kompromisse.
→ info
Broschüre: 7 Goldene Regeln für gesunde Arbeit ohne Unfälle: www.bgetem.de, Webcode M19876789
Übersichtsseite der DGUV: Vision Zero