Frau Dr. Gericke, warum gehört psychische Gesundheit zur Arbeitssicherheit?
Dr. Christine Gericke: Damit Menschen sicher arbeiten können, müssen sie mit dem Kopf bei der Sache sein. Das gelingt nicht, wenn sie unter Zeitdruck stehen, mit ihren Aufgaben überfordert sind oder es bei der Arbeit ständig zu Unterbrechungen oder Konfliktsituationen kommt. So entstehen Stress und Konzentrationsmangel, was wiederum direkt zu Arbeitsunfällen führen kann.
Haben Sie ein Beispiel?
Dr. Christine Gericke: Etwa bei Arbeiten mit Strom: Vergisst ein Elektrohandwerker eine der 5 Sicherheitsregeln, weil er zwischendurch ans Telefon gehen muss, kann das tödlich enden. Auch das Betriebsklima wirkt indirekt: Motivation und Gesundheit von Beschäftigten hängen stark davon ab, wie respektvoll und wertschätzend miteinander umgegangen wird.
Welche Rolle spielen Führungskräfte?
Dr. Christine Gericke: Sie müssen hinschauen, zuhören und reagieren. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter brauchen die Erfahrung, dass ihre Führungskräfte ihnen bei Problemen zuhören und Verbesserungsvorschläge umsetzen. Das steigert Zufriedenheit, Motivation und Gesundheit. Auch wenn jemand dauerhaft überlastet oder Mobbing ausgesetzt ist, müssen Führungskräfte das wahrnehmen – und reagieren.
Warum wird das Thema psychische Belastung immer wichtiger?
Warum sollten Betriebe die psychische Belastung ihrer Beschäftigten erfassen?
Dr. Christine Gericke: Zum einen sind sie dazu rechtlich verpflichtet. Zum anderen sind gerade kleinere Unternehmen darauf angewiesen, dass ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gesund bleiben. Wenn in Kleinunternehmen jemand ausfällt, lässt sich das deutlich schwerer kompensieren als in einem Großbetrieb. Doch nicht nur Anwesenheit zählt. Auch Motivation und Mitdenken sind wichtige Erfolgsfaktoren – und nur gegeben, wenn psychische Belastung im Rahmen bleibt.
Benötigen Sie Hilfe?
Die Arbeitspsychologinnen und -psychologen der BG ETEM unterstützen Mitgliedsbetriebe auf Wunsch bei der Gefährdungsbeurteilung psychische Belastung oder bei flankierenden Workshops.
Kontakt: gesundheit-im-betrieb@bgetem.de
Wie können kleine Betriebe vorgehen?
Dr. Christine Gericke: Das Wichtigste ist, miteinander ins Gespräch zu kommen: Was läuft gut, was belastet? Unterstützung bieten unsere Broschüren „Gemeinsam zu gesunden Arbeitsbedingungen“ für Betriebe mit bis zu 50 Beschäftigten und „Läuft bei uns, oder? Gemeinsam zu gesunden Arbeitsbedingungen“ für Kleinbetriebe mit bis zu sechs Beschäftigten.
Für welche Zielgruppen sind die Broschüren nützlich?
Dr. Christine Gericke: Sie geben Gesprächsstrukturen vor und erleichtern den Einstieg in das Thema. Anhand der Inhalte können Führungskräfte gemeinsam mit ihren Beschäftigten Arbeitsbedingungen analysieren, diskutieren und Verbesserungsideen erarbeiten – etwa gegen ständige Unterbrechungen oder für den Umgang mit schwierigen Kundinnen und Kunden. Die Ergebnisse werden dokumentiert und in Maßnahmenpläne mit klaren Verantwortlichkeiten überführt. So wird sichergestellt, dass vereinbarte Lösungen nicht im Sande verlaufen.
Zeit ist eine knappe Ressource. Wie lange dauert ein Workshop mit Broschüren-Begleitung?
Dr. Christine Gericke: Die Broschüre für Betriebe mit bis zu 50 Beschäftigten enthält eine kleine Befragung und Lösungsplakate, die Teams gemeinsam ausfüllen können. Das dauert dann insgesamt etwa zwei Stunden. Die Broschüre „Läuft bei uns, oder?“ bietet eine noch einfachere Lösung: In einer circa einstündigen Gesprächsrunde werden mithilfe von „Stresskarten“ alltägliche Belastungen identifiziert und konkrete Verbesserungen abgeleitet.
Reicht eine einmalige Gesprächsrunde aus?
Dr. Christine Gericke: Im besten Fall ist sie der Auftakt für einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess. Wichtig ist, Maßnahmenpläne zu erstellen, umzusetzen und die Beschäftigten zu informieren. Nach spätestens einem Jahr sollte die Wirksamkeit geprüft werden: Welche Idee wurde umgesetzt? Hat sie geholfen? Das Bonusposter „Erfolgsbilanz“ unterstützt bei der Prüfung. Da muss jemand dranbleiben – nicht zwingend die Unternehmerin oder der Unternehmer selbst, sondern auch eine beauftragte Person. Diese benötigt jedoch in jedem Fall Rückhalt durch die Unternehmensleitung
Interview: Annika Pabst
→ info
- Übersichtsseite Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung - Gemeinsam zu gesunden Arbeitsbedingungen: bgetem.de, Webcode: 15176025
- Läuft bei uns, oder? Gemeinsam zu gesunden Arbeitsbedingungen: medien.bgetem.de, Webcode: M25453666
- Gemeinsam zu gesunden Arbeitsbedingungen: medien.bgetem.de, Webcode: M18517786
- Podcast „Alles Kopfsache? Psychische Belastung am Arbeitsplatz“: bgetem.de, Webcode: 24907549
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