Suchtprävention: Porträt von Neurologin und Psychiaterin Dr. Monika Vogelgesang. Sie hat längere blonde Haare und trägt eine dunkle Bluse.
Dr. Monika Vogel­gesang ist Ärztin für Neurologie und Psychiatrie sowie für Psychosomati­sche Medizin und Psychotherapie. Seit 2001 ist sie Chefärztin der Median Klinik Münchwies. Sie ist Sprecherin des Medical Board Sucht sowie Vorsitzende des Fachverbandes Sucht.
Frau Dr. Vogelgesang, wie entstehen Süchte eigentlich?

Drogen wirken auf das Belohnungssystem im menschlichen Gehirn. Dieses System springt auch an, wenn Menschen zum Beispiel ein Erfolgserlebnis haben, Sport treiben oder ein leckeres Essen genießen: Sie fühlen sich dann gut. Drogen jedoch kurbeln die Produktion des Botenstoffs Dopamin, der das gute Gefühl auslöst, viel stärker an als diese Dinge. Das Gehirn lernt also: Diese Substanz tut gut. Es will mehr davon. Mit der Zeit tritt allerdings ein Gewöhnungseffekt ein und man braucht mehr von der jeweiligen Substanz, um den gewünschten Effekt zu erzielen.

Und ab welchem Punkt ist jemand abhängig?

Es gibt keine Zahlen oder Laborwerte, die festlegen: Ab diesem Punkt ist jemand süchtig. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat aber sechs Kriterien für Suchtverhalten festgelegt. Sind drei davon erfüllt, besteht eine Abhängigkeit (siehe Kasten).

Inwiefern kommen Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen mit Abhängigen in Kontakt?

In Münchwies behandeln wir vor allem Patientinnen und Patienten, die von Alkohol, Cannabis oder Medikamenten abhängig sind oder Substanzen miteinander kombinieren. Bei der Behandlung einer Abhängigkeit gibt es zwei Phasen: Entgiftung und Entwöhnung. Wer entgiftet, also körperlich entzieht, bleibt meist zwei Wochen lang in der Akutklinik oder in ei­nem Krankenhaus. Danach folgt die Entwöhnung bei uns, die sich über etwa elf Wochen plus Nachsorge erstreckt. Da geht es dann da­rum, Abhängige dauerhaft von ihrer Such­terkrankung zu lösen. Es ist wichtig zu verstehen, dass die Entgiftung allein nicht ausreicht, um sich nachhaltig aus einer Abhängigkeit zu befreien. Man muss auch an die Psyche ran. Das Suchtgedächtnis vergisst nämlich nicht so schnell.

Welches Rauschmittel wird im Arbeitsalltag besonders oft konsumiert?

Alkohol und Cannabis sind ganz vorne mit dabei, wobei vor allem jüngere Menschen bis Mitte 30 am häufigsten Cannabis kon­sumieren. Aber auch Amphetamine wie Crystal Meth oder Ecstasy sind ein Thema: Das sind Aufputschmittel, die leistungs­steigernd wirken. Je nach Tätigkeitsfeld nehmen Beschäftigte auch bestimmte Medikamente ein, um wacher und konzen­trierter zu sein oder Ängste abzubauen.

Was raten Sie Führungskräften in kleinen und mittleren Unternehmen für den Umgang mit Beschäftigten, die ein Suchtproblem haben oder haben könnten?

In kleinen Betrieben sind Chefinnen und Chefs meist sehr nah dran an ihren Angestellten. Das ist ein Vorteil, weil sie zum Beispiel Verhaltensänderungen und -auffälligkeiten unmittelbar mitbekom­men und relativ unkompliziert ein Vier-Augen-Gespräch möglich ist. Dann können sie gemeinsam mit der Mitarbeiterin oder dem Mitarbeiter nach Lösungen suchen, wenn sie oder er offen dafür ist. Im Zweifel müssen Führungskräfte bei allem guten Willen klare Kante zeigen und auch disziplinarische Konsequenzen ziehen. Beschäftigte gegen deren Willen oder am Arbeitsplatz zu therapieren, ist unmöglich.