Schutzschild fürs GesichtIm Neusser Werk des Papierherstellers Essity kam es bei Beschäftigten zu Augenreizungen. Die Zusammenarbeit verschiedener Akteure brachte schließlich eine Lösung.https://etem.bgetem.de/4.2025/titelstories/schutzschild-fuers-gesichthttps://etem.bgetem.de/++resource++plone-logo.svg
Augenschutz in der Praxis
Schutzschild fürs Gesicht
Im Neusser Werk des Papierherstellers Essity kam es bei Beschäftigten zu Augenreizungen. Die Zusammenarbeit verschiedener Akteure brachte schließlich eine Lösung.
Ein großer Schritt zu mehr Komfort und Sicherheit bei der Arbeit in der Papierproduktion von Essity in Neuss: ein neuartiges Helmsystem, das Aktivkohle zur Entfeuchtung der Belüftungsluft nutzt.
In Neuss, nicht weit vom Rhein, befindet sich ein Werk von Essity, einem internationalen Hersteller von Hygieneprodukten. 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind dort tätig. Das Werk produziert Papierprodukte wie Taschentücher, Küchentücher und Toilettenpapier und verpackt sie für den Verkauf in großen deutschen Einzelhandelsketten.
Eine heiße Angelegenheit
Mit ohrenbetäubendem Lärm schießen die Papierbahnen über die Rollen. Das vom Papier abgeschiedene Wasser plätschert in die Auffangwanne. Bayram Tarhan entfernt Zellstoff von einer Aufhängung.
Der Fertigungsprozess beginnt mit der Herstellung des Papiers. Das erledigen zwei riesige Produktionsmaschinen von je etwa 50 Meter Länge und fünf Meter Höhe. In ihrem Inneren wird mit Wasser eingeweichter Zellstoff über Siebe und Rollen geformt und zu fünf Meter breiten Papierbahnen verarbeitet. Diese Bahnen sind der Grundstoff für alle Produkte, die in Neuss entstehen. Je nach Anforderung werden in der Maschine zwei oder drei Papierbahnen zusammengeführt und verbunden. Die feuchten Bahnen laufen mit 100 bis 140 Kilometern pro Stunde durch die Maschine, werden dort auf heißen Rollen gepresst, mit 400 Grad heißer Luft getrocknet und schließlich von einem Schaber von der letzten Rolle gelöst und aufgerollt. Dabei entstehen tonnenschwere Rollen aus Papierbahnen von etwa 80 Kilometer Länge.
Über Essity
Essity ist ein Unternehmen im Bereich Hygiene und Gesundheit mit mehr als 40.000 Mitarbeitenden
Die Private Label Division von Essity in Neuss hat 500 Mitarbeitende
In der Papierproduktion arbeiten etwa 80 Beschäftigte
Jährlich entstehen dort rund 110.000 Tonnen Hygieneprodukte
Es geht auf die Augen
Weil sich Zellstoffreste auf den Maschinenteilen ablagern, müssen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Werks die Papiermaschinen regelmäßig reinigen. Das bedeutet: Sie müssen die schallgeschützte und klimatisierte Leitwarte der Anlage verlassen, um an und in der Maschine zu arbeiten. Dort gibt es einen sehr trockenen und staubigen Bereich, in dem etwa mit Saugern gereinigt wird, und einen Nassbereich, in dem Prozesswasser mit Zellstoff zirkuliert. Um Zellstoffanhaftungen zu lösen, strahlen die Beschäftigten bei der Reinigung Wasser mit hohem Druck auf die Maschinenteile. Das füllt die ohnehin sehr warme und extrem feuchte Luft zusätzlich mit Spritzwasser, das auch ins Gesicht und die Augen gelangt. Beschäftigte beklagten oft Augenrötungen und das Gefühl, etwas im Auge zu haben.
Beherzt die Initiative ergriffen
Top-Teamwork (von links): Betriebsrat Bernd Aldenhoff, Produktionsleiter Cornel Tupp, Marina Kiel, leitende Fachkraft für Arbeitssicherheit, und Dr. Nils Wienand, Aufsichtsperson der BG ETEM.
Diesen Missstand wollten Marina Kiel, leitende Fachkraft für Arbeitssicherheit, und Cornel Tupp, Produktionsleiter, sowie der Betriebsrat nicht akzeptieren. Sie begannen, intensiv nach einer Lösung für den Augen- und Gesichtsschutz zu suchen, und banden dabei auch Betriebsarzt Dr. Sebastian Lieske und Dr. Nils Wienand, Aufsichtsperson der BG ETEM mit ein. Auch ein großer Schutzausrüstungshersteller begleitete den Prozess. „Es lag nahe, Brillen einzusetzen“, erzählt Cornel Tupp. Doch in der feuchtwarmen Umgebung beschlugen sie alle: „Das ist nicht akzeptabel, denn in der Maschine ist es eng und verwinkelt. Gute Sicht ist für uns ein Muss.“ Die Essity-Beschäftigten testeten sehr viele Arbeitsschutzbrillen im Nassbereich. Kein Modell hielt den extremen Bedingungen stand. Wienand: „Wir haben das Wasser und die staubige Luft analysiert, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter befragt, um Einsatzumstände zu verstehen, und es wurde immer wieder ausprobiert. Das war ein großer Kraftakt, in dem sich alle Beteiligten über Jahre und trotz Rückschlägen beeindruckend intensiv engagierten. Wirklich vorbildlich.“
So funktioniert das Helmsystem
Der Helm hat ein Vollvisier und eine abschließende Schürze zwischen Sichtscheibe und Hals. Am Gürtel hängt die Apparatur mit Ventilator und Filter. Im Trockenbereich ist es ein Staubfilter, im Nassbereich ein Kombinationsfilter mit Aktivkohle, der das Wasser der angesaugten Luft bindet. Die gereinigte Luft wird über einen Schlauch am Hinterteil des Helms von oben an die Innenseite des Visiers geblasen.
Ein glücklicher Zufall
Für den Trockenbereich der Maschine schaffte das Unternehmen schließlich neue Helme mit Vollvisier an, die über einen Filter am Gürtel und einen Schlauch staubfrei belüftet werden. Zum richtigen Einsatz gab es eine Einweisung des Herstellers. Cornel Tupp: „Während der Schulung kam es in der Kantine zu einem zufälligen Gespräch mit einem Entwickler. Als er von unserem Problem im Nassbereich hörte, gab er den Tipp: 'Aktivkohle ausprobieren!'“ Diesen Tipp griff das Essity-Team auf. „Wir haben ein Gebläsefiltersystem mit einem Kombinationsfilter mit Aktivkohle getestet, der die Feuchtigkeit absorbiert“, beschreibt Marina Kiel. Das sei die Lösung gewesen. Die getrocknete Luft bringt das Visier auf Umgebungstemperatur und verhindert Beschlagen. „Die Sicht bleibt frei“, erklärt Cornel Tupp.
„Das Problem ist der Eintrag von Zellstoffpartikeln ins Auge. Diese Fremdkörper reiben an der Hornhaut und reizen sie.“ Dr. Sebastian Lieske, Allgemeinmediziner und Betriebsarzt, im Gespräch mit Marina Kiel.
Der Betriebsarzt unterstützt bei der Unterweisung und berät die Mitarbeiter zur möglichen arbeitsmedizinischen Vorsorge. Die Helme werden von den Beschäftigten gut angenommen. „Ein junger Kollege trägt ihn sogar fast immer, wenn er in der Produktionshalle arbeitet“, berichtet Produktionsleiter Tupp: „Die Mühe hat sich gelohnt, wir konnten die Arbeitssicherheit verbessern.“ Mit der ,I Care‘ genannten Sicherheitskulturreise für alle Beschäftigten will das Team auch in Zukunft dranbleiben. Kernbotschaft des Ansatzes: Sicherheit geht nur gemeinsam.
Christian Alt
→ info
Brancheninformation Druck und Papierverarbeitung: www.bgetem.de, Webcode 13335297
Checklisten zur Gefährdungsbeurteilung: Druck und Papierverarbeitung: medien.bgetem.de, Webcode M18852803
Schutzbrillen sind eine Selbstverständlichkeit in der Chemiebranche, der Metall- oder der Holzverarbeitung. Aber auch in den Branchen Druck und Papierverarbeitung sowie Elektro und Feinmechanik gibt es Tätigkeiten, bei denen das Augenlicht in Gefahr ist – und deshalb eine Schutzbrille nötig.
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