Essity-Mitarbeiter Bayram Tarhan an der Maschine, er trägt ein neuartiges Helmsystem mit Vollvisier
Ein großer Schritt zu mehr Komfort und Sicherheit bei der Arbeit in der Papierproduktion von Essity in Neuss: ein ­neu­artiges Helmsystem, das Aktivkohle zur Entfeuchtung der Belüftungsluft nutzt.

In Neuss, nicht weit vom Rhein, befindet sich ein Werk von Essity, einem internationalen Hersteller von Hygieneprodukten. 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind dort tätig. Das Werk produziert Papierprodukte wie Taschentücher, Küchentücher und Toilettenpapier und verpackt sie für den Verkauf in großen deutschen Einzelhandelsketten.

Eine heiße Angelegenheit

Mitarbeiter Bayram Tarhan reinigt die Papierherstellungsmaschine: Er trägt das Helmsystem mit Vollvisier und entfernt mithilfe von Wasser aus einem Schlauch Zellstoffreste
Mit ohrenbetäubendem Lärm schießen die Papierbahnen über die Rollen. Das vom Papier abgeschiedene Wasser plätschert in die Auffangwanne. Bayram Tarhan entfernt Zellstoff von einer Aufhängung.
Der Fertigungsprozess beginnt mit der Herstellung des Papiers. Das erledigen zwei riesige Produktionsmaschinen von je etwa 50 Meter Länge und fünf Meter Höhe. In ihrem Inneren wird mit Wasser eingeweichter Zellstoff über Siebe und Rollen geformt und zu fünf Meter breiten Papierbahnen verarbeitet. Diese Bahnen sind der Grundstoff für alle Produkte, die in Neuss entstehen. Je nach Anforderung werden in der Maschine zwei oder drei Papierbahnen zusammengeführt und verbunden. Die feuchten Bahnen laufen mit 100 bis 140 Kilometern pro Stunde durch die Maschine, werden dort auf heißen Rollen gepresst, mit 400 Grad heißer Luft getrocknet und schließlich von einem Schaber von der letzten Rolle gelöst und aufgerollt. Dabei entstehen tonnenschwere Rollen aus Papierbahnen von etwa 80 Kilometer Länge.

Es geht auf die Augen

Weil sich Zellstoffreste auf den Maschinenteilen ablagern, müssen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Werks die Papiermaschinen regelmäßig reinigen. Das bedeutet: Sie müssen die schallgeschützte und klimatisierte Leitwarte der Anlage verlassen, um an und in der Maschine zu arbeiten. Dort gibt es einen sehr trockenen und staubigen Bereich, in dem etwa mit Saugern gereinigt wird, und einen Nassbereich, in dem Prozesswasser mit Zellstoff zirkuliert. Um Zellstoffanhaftungen zu lösen, strahlen die Beschäftigten bei der Reinigung Wasser mit hohem Druck auf die Maschinenteile. Das füllt die ohnehin sehr warme und extrem feuchte Luft zusätzlich mit Spritzwasser, das auch ins Gesicht und die Augen gelangt. Beschäftigte beklagten oft Augenrötungen und das Gefühl, etwas im Auge zu haben.

Beherzt die Initiative ergriffen

Betriebsrat Bernd Aldenhoff, Produktionsleiter Cornel Tupp, Marina Kiel, leitende Fachkraft für Arbeitssicherheit, und Dr. Nils Wienand, Aufsichtsperson der BG ETEM, in einer Fabrikhalle. Marina Kiel hält einen Schutzhelm in den Händen.
Top-Teamwork (von links): Betriebsrat Bernd Aldenhoff, Produk­tionsleiter Cornel Tupp, Marina Kiel, leitende Fachkraft für Arbeitssicherheit, und Dr. Nils Wienand, Aufsichtsperson der BG ETEM.
Diesen Missstand wollten Marina Kiel, leitende Fachkraft für Arbeitssicherheit, und Cornel Tupp, Produktionsleiter, sowie der Betriebsrat nicht akzeptieren. Sie begannen, intensiv nach einer Lösung für den Augen- und Gesichtsschutz zu suchen, und banden dabei auch Betriebsarzt Dr. Sebastian Lieske und Dr. Nils Wienand, Aufsichtsperson der BG ETEM mit ein. Auch ein großer Schutzausrüstungshersteller begleitete den Prozess. „Es lag nahe, Brillen einzusetzen“, erzählt Cornel Tupp. Doch in der feuchtwarmen Umgebung beschlugen sie alle: „Das ist nicht akzeptabel, denn in der Maschine ist es eng und verwinkelt. Gute Sicht ist für uns ein Muss.“ Die Essity-Beschäftigten testeten sehr viele Arbeitsschutzbrillen im Nassbereich. Kein Modell hielt den extremen Bedingungen stand. Wienand: „Wir haben das Wasser und die staubige Luft analysiert, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter befragt, um Einsatzumstände zu verstehen, und es wurde immer wieder ausprobiert. Das war ein großer Kraftakt, in dem sich alle Beteiligten über Jahre und trotz Rückschlägen beeindruckend intensiv engagierten. Wirklich vorbildlich.“

Ein glücklicher Zufall

Für den Trockenbereich der Maschine schaffte das Unternehmen schließlich neue Helme mit Vollvisier an, die über einen Filter am Gürtel und einen Schlauch staubfrei belüftet werden. Zum richtigen Einsatz gab es eine Einweisung des Herstellers. Cornel Tupp: „Während der Schulung kam es in der Kantine zu einem zufälligen Gespräch mit einem Entwickler. Als er von unserem Problem im Nassbereich hörte, gab er den Tipp: 'Aktivkohle ausprobieren!'“ Diesen Tipp griff das Essity-Team auf. „Wir haben ein Gebläsefiltersystem mit einem Kombinationsfilter mit Aktivkohle getestet, der die Feuchtigkeit absorbiert“, beschreibt Marina Kiel. Das sei die Lösung gewesen. Die getrocknete Luft bringt das Visier auf Umgebungstemperatur und verhindert Beschlagen. „Die Sicht bleibt frei“, erklärt Cornel Tupp.

Marina Kiel im Gespräch mit Betriebsarzt Dr. Sebastian Lieske.
„Das Problem ist der Eintrag von Zellstoff­partikeln ins Auge. Diese Fremdkörper reiben an der Hornhaut und reizen sie.“ Dr. Sebastian Lieske, Allgemeinmediziner und Betriebsarzt, im Gespräch mit Marina Kiel.
Der Betriebsarzt unterstützt bei der Unterweisung und berät die Mitarbeiter zur möglichen arbeitsmedizinischen Vorsorge. Die Helme werden von den Beschäftigten gut angenommen. „Ein junger Kollege trägt ihn sogar fast immer, wenn er in der Produktionshalle arbeitet“, berichtet Produktionsleiter Tupp: „Die Mühe hat sich gelohnt, wir konnten die Arbeitssicherheit verbessern.“ Mit der ,I Care‘ genannten Sicherheitskulturreise für alle Beschäftigten will das Team auch in Zukunft dranbleiben. Kernbotschaft des Ansatzes: Sicherheit geht nur gemeinsam.

Christian Alt