Webmaschine in Industriehalle, gelbe gepunktete Linien veranschaulichen den Sicherheitsbereich
Lichtvorhänge kommen seit etwa zwanzig Jahren als Schutzeinrichtung (Anlaufsperre) an Webmaschinen zum Einsatz.

Kommt es an der Webmaschine zum Fadenbruch, muss es schnell gehen. Ist der Fehler behoben, schaltet das Personal dann möglichst zügig wieder ein – manchmal schon mit der einen Hand, während sich die andere Hand nach dem Korrektureingriff noch zurückzieht. Moderne Webmaschinen sind jedoch seit den 90er-Jahren mit einer Anlaufsperre ausgestattet, die solche Unfälle verhindert. Ursprünglich bestand diese Sicherung aus Einzellichtschranken, die knapp über der Anschlagzone angebracht waren: Diese Sensoren erkennen so, wenn Finger sich in der Gefahrenzone befinden. Seit dem Jahr 2005 werden Lichtvorhänge eingesetzt, die in einigem Abstand der Gefahrenzone vorgelagert sind. Diese Lichtvorhänge verhindern, dass sich eine Maschine starten lässt, wenn sich ein Arm oder eine Hand im Gefahrbereich befindet.

Im Gegensatz zu der normalen Funktionsweise von nicht trennenden Schutzeinrichtungen, deren Anwendung im etem plus-Artikel „Lichtvorhänge“ beschrieben ist, handelt es sich bei der Anlaufsperre um einen Sonderfall: Der Schutz beschränkt sich auf den Start und es geht nur darum, diesen zu verhindern. Die Nachlaufzeit bis zum Stillstand muss nicht durch einen zusätzlichen Sicherheitsabstand berücksichtigt werden – in der entsprechenden Formel aus dem genannten Artikel ist die Nachlaufzeit also gleich Null. 

Allerdings darf es nicht möglich sein, dass Personen den Gefahrbereich durch Übergreifen, Umgreifen oder Durchgreifen erreichen, ohne einen der Lichtstrahlen zu unterbrechen. Läuft die Webmaschine, wird die Schutzeinrichtung wirkungslos geschaltet (Muting). Dies ist erforderlich, um Fehlabschaltungen durch Flusenflug zu verhindern, die sonst sehr häufig wären, insbesondere bei Naturfasergarnen. Das entspricht für Webmaschinen dem Stand der Technik und ist in der zur Auslegung der Maschinenrichtlinie geltenden Norm EN ISO 11111-6 geregelt.

Der früher für Weber typische Unfall der schweren Fingerquetschung zwischen Webblatt und Breithalter, der oft mit Verlust eines Fingerglieds verbunden war, wird auf diese Weise zuverlässig verhindert. Aber durch das Muting (Abschalten des Lichtvorhangs) nach erfolgtem Start bleibt ein Restrisiko.

Wie hoch ist das Restrisiko?

Durch die schnelle Bewegung ist bei hochtourigen Webmaschinen die Position des Webblatts mit dem Auge nicht mehr zu verfolgen. Vielmehr erscheint der gesamte Bewegungsbereich des Webblatts durchscheinend ohne klar erkennbare Konturen – das Webblatt wird fast unsichtbar.

Durch die schnelle Hin- und Herbewegung ist es nicht möglich, zur gefährlichen Quetschstelle zwischen Webblatt und Breithalter zu gelangen. Die Hand stößt bereits an der Vorderkante des Bewegungsbereichs auf Widerstand beziehungsweise wird weggeschlagen.

Jeder Weber ist sich dessen bewusst, und es gibt tatsächlich keine sinnvolle Motivation, in diesen Bereich einzugreifen, da Störungen wie Fadenbrüche nur im Stillstand behoben werden können. Das Restrisiko besteht darin, aus Unachtsamkeit in den nur durchscheinend wahrnehmbaren Bewegungsbereich zu fassen. Unfälle durch einen Schlag des Webblattes sind sehr selten, kommen aber dennoch vor.

Zwei Beispiele aus Unfallmeldungen der BG ETEM

Ein neuer Mitarbeiter in einem Textilbetrieb sollte als Weber angelernt werden und hierzu einen erfahrenen Weber begleiten. Ehe dieser eingreifen konnte, hatte sein neuer Kollege an das hochtourig laufende Webblatt gefasst. Die Folgen waren eine Schwellung, sonst waren keine äußeren Verletzungen erkennbar. Beim anschließenden Röntgen wurde eine Nagelkranzfraktur in zwei Fingern festgestellt.

Im zweiten Beispiel wollte der erfahrene Weber die Unfallmaschine eigentlich stillsetzen, um einen Defekt zu beheben. Dann trat aber ein Fehler an der Maschine auf, die im Webergang gegenüber aufgestellt war. Er drehte sich um und beseitigte diesen Fehler zuerst. Dann wandte er sich wieder der Unfallmaschine zu und griff in die Webzone ein, ohne daran zu denken, dass das Abschalten noch gar nicht erfolgt war. Die Folge war eine Platzwunde am betroffenen Finger, Schwellung und Bewegungsschmerz. Das anschließende Röntgen ergab keine knöchernen Verletzungen.

Martin Steiner