Sergen Sökmez sitzt an seinem Büroarbeitsplatz, ein Kollege steht neben ihm und zeigt auf den Monitor
Der angehende Packmitteltechniker Sergen Sökmez bekommt viele Tipps von seinem Kollegen und Ausbilder Erwin Ehm.

Auf seinem Computerbildschirm entwirft Sergen Sökmez gerade eine Verpackung. Mit wenigen Klicks bestimmt der 25-Jährige Form und Größe der Pappkonstruktion, die eine Spirituosenflasche und Trinkgläser schützen soll. Sökmez fügt dem 3D-Modell Konturen für Stanzformen hinzu, später wird er ein Muster der gestalteten Verpackung herstellen. Um ihn herum stapeln sich andere Muster aus Pappe in unterschiedlichen Größen und Formen. Sökmez ist angehender Packmitteltechnologe bei der Laufer Verpackungen GmbH & Co. KG im ostwestfälischen Hövelhof. Er designt und fertigt täglich Verpackungsmodelle nach Kundenvorgaben. Die Computermaus bedient er mit der linken Hand, sein rechter Arm ruht auf dem Schreibtisch. Nur bei genauem Hinsehen ist zu erkennen: Rechts trägt er eine sogenannte Habitusprothese.

Sergen Sökmez an seinem Schreibtischarbeitsplatz; auf dem Monitor ist die Abwicklung einer Verpackung zu sehen; er hält ein Pappteil in den Händen und blickt in die Kamera
Mit 18 Jahren begann Sökmez seine Ausbildung zum Maschinenanlagenführer bei Laufer. Nach dem Unfall wird der 25-Jährige jetzt zum Verpackungstechniker ausgebildet.


„Mein Chef sagte zu mir: ‚Du kommst auf jeden Fall zurück.
Wir kriegen das schon hin.‘“

Sergen Sökmez
Auszubildender


Nahaufnahme der Hände von Sergen Sökmez, die rechte ist kaum als Prothese zu erkennen
Zeitweise trägt Sökmez eine sogenannte Habitusprothese, die optisch weniger auffällt als seine myoelektrische Prothese.

Seinen Arbeitsalltag hat sich Sökmez mal anders vorgestellt. Mit 18 Jahren begann er bei Laufer seine Ausbildung zum Maschinenanlagenführer. „Mein Vater hat hier gearbeitet, mein Onkel ist noch im Betrieb – deshalb lag es nah, dass ich hier anfange“, erzählt er. Im Jahr 2022 änderte sich sein Leben im Bruchteil weniger Sekunden: Während einer Schicht bemerkte er eine Störung an einer Maschine und wollte das verkantete Materialstück mit der Hand befreien – dabei geriet seine rechte Hand zwischen zwei Walzen. Er betätigte den Nothalt, doch die Maschine hatte seinen Arm schon teilweise eingezogen. Anwesende Kollegen alarmierten den Rettungsdienst, ein Hubschrauber flog den Verunfallten in die Klinik der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). Es folgten Operationen, die Amputation der rechten Hand. Sökmez verbrachte einen Monat in der Klinik.


„Als Unternehmer fühle ich mich verantwortlich für meine Belegschaft. Deswegen wollte ich Sergen als Mitarbeiter behalten.“

Daniel Laufer
Geschäftsführer Laufer Verpackungen GmbH


Unternehmer-Verantwortung
 

Sein Chef Daniel Laufer stand wenige Tage nach dem Unfall an seinem Krankenhausbett. „Er sagte: ‚Du kommst auf jeden Fall zurück. Wir kriegen das schon hin‘“, erinnert sich Sökmez. Dass er nicht mehr als Maschinenanlagenführer arbeiten würde, stand fest. Nach dem Genesungsprozess von einem Jahr und einer vierwöchigen Reha im BG-Klinikum Bergmannsheil Bochum startete Sökmez im September 2023 neu durch: Er begann eine Umschulung zum Packmitteltechnologen. Alter Betrieb, neuer Job. In die Produktion geht er selten und ungern – die Erinnerungen an den Unfall werden dann wieder wach. „Für mich war es keine Frage, dass ich Sergen als Mitarbeiter behalten möchte“, sagt Daniel Laufer, Geschäftsführer von Laufer Verpackungen. „Als Unternehmer fühle ich mich verantwortlich für meine Belegschaft.“ Diese Einstellung kommt nicht von ungefähr. Laufer Verpackungen ist ein klassischer mittelständischer Familienbetrieb, den Wolfgang Laufer, Vater des heutigen Geschäftsführers, im Jahr 1977 gegründet hat. Seitdem ist der Betrieb kontinuierlich gewachsen. „Gesund und organisch“, betont Daniel Laufer. Das Unternehmen hat heute 150 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und vertreibt seine Produkte an Kunden aus dem B2B-Bereich. „Spezialitäten statt Standardware“, beschreibt Laufer das Geschäftsmodell. An drei Standorten im Kreis Paderborn tüfteln Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus, wie sich Gegenstromanlagen, Flaschen und Gläser, Medizinprodukte, Elektrogeräte und Autoteile effizient und sicher verpacken lassen. Daneben stellt Laufer auch weniger aufwändige Produkte her, zum Beispiel Umzugskartons. 

BG-Unterstützung 

Die Belegschaft geht sehr familiär miteinander um. „Deswegen geht es einem sehr nah, wenn ein Mitarbeiter einen Unfall hat“, sagt der Unternehmer. Sergen Sökmez sei ein wichtiger Mitarbeiter – menschlich wie fachlich. „Der Fachkräftemangel oder die Inklusion haben bei der Entscheidung für die Umschulung keine Rolle gespielt. Ich wollte ihm einfach eine neue Chance geben und sicherstellen, dass er in seinem neuen Leben klarkommt.“ Laufer setzte dafür alles in Gang, auch mit Unterstützung der BG ETEM. Reha-Manager Nicolas Weber war wenige Tage nach dem Unfall präsent und begleitete Sökmez auf seinem Weg zurück ins Arbeitsleben. Er ist heute noch als Ansprechpartner für ihn da und erkundigt sich regelmäßig danach, wie es ihm geht. Die BG ETEM hat noch viel mehr getan:  

  • Sie hat die Umschulung vollständig unterstützt,  
  • Kosten für Lehrmittel und Fahrten übernommen, 
  • eine myoelektrische Prothese finanziert, die die Signale des Nervensystems an die Prothese übermittelt,
  • und den Umbau eines Autos finanziert, damit Sökmez mobil ist.   

Interviewfoto von Daniel Laufer

„Ich wollte Sergen einfach eine neue Chance geben und sicherstellen, dass er in seinem neuen Leben klarkommt.“

Daniel Laufer
Geschäftsführer und Unternehmer



Arbeitsschutz-Organisation  

Arbeitsschutz ist für Daniel Laufer schon immer wichtig gewesen. Jetzt hat er ihn nochmals intensiviert: Schulungen für leitende Mitarbeitende erneuert, Sökmez‘ Unfall im Austausch mit der BG analysiert. Und für die Augenzeugen des Unfalls organisierte er eigenständig psychologische Hilfe. „Der Unfall von Sergen war für alle ein harter Schlag ins Kontor“, sagt Laufer. Die Sensibilität für Sicherheit und sicheres Verhalten ist in der Belegschaft seitdem nochmals gestiegen. 

Sökmez ist froh über seinen neuen Job im Betrieb. Die Wiedereingliederung ist gelungen: „Kollegen sehen und behandeln mich heute genauso wie vor dem Unfall.“ Der neue Arbeitsbereich ist eine Entwicklungschance – mehr mit dem PC arbeiten, zeichnen und kreativ sein, das liegt ihm. Sein Kollege und Ausbilder Erwin Ehm ist ein prima Ansprechpartner. Sökmez blickt deswegen optimistisch in seine Zukunft – im Beruf und im Privatleben. Während seines Heilungsprozesses spielte er Fußball, als Torwart bei Fortuna Düsseldorf in der Deutschen Amputierten-Fußball-Bundesliga. Aktuell fehlt ihm die Zeit, um zum Training nach Düsseldorf zu reisen. Aber er spielt noch hobbymäßig und joggt häufig: „Das tut gut und macht den Kopf frei“, sagt Sökmez. Er will nichts beschönigen: „Man braucht für vieles im Leben zwei Hände, das fällt einem erst auf, wenn man nur noch eine hat.“ Daniel Laufer freut sich über jeden Tag, an dem Sökmez an Bord ist. Und das hat auch die BG ETEM möglich gemacht. „Der Einsatz aller Beteiligten hat sich absolut gelohnt“, betont der Geschäftsführer. Was andere Unternehmer daraus lernen können? Seine Antwort: Dass man sich kümmert.“  

Annika Pabst