Tropfen einer Flüssigkeit, die sich an einem von mehreren Kabel gebildet hat
An älteren Installationsanlagen zeigt sich oftmals eine zähflüssige, gelb-bräunliche, klebrige, durchsichtige, nahezu geruchslose Flüssigkeit.

Arbeiten an Leitungsanlagen gehören zu den sogenannten elektrotechnischen Arbeiten und somit zu den Tätigkeiten, die erforderlich sind, damit eine elektrische Anlage funktionieren kann. Sie werden unter dem Begriff „Betrieb“ zusammengefasst. Für den sicheren Betrieb verantwortlich sind die Betreibenden der Anlage. Dieses können die Personen sein, in deren Eigentum oder Besitz die Anlage ist, die Unternehmensleitung oder eine beauftragte Person, die deren Pflichten wahrnimmt.

Berufserfahrenen Elektrofachkräften dürfte bei ihrer Arbeit etwas aufgefallen sein: die zähflüssige, gelb-bräunliche, klebrige, durchsichtige, nahezu geruchslose Flüssigkeit, die bei mehrjährig installierten Elektroleitungen austritt. Man kennt sie, über sie gesprochen wird jedoch kaum. Die Flüssigkeiten treten aus Leitungsanlagen unterschiedlicher Standzeit aus. Je nach Alter kann sich zum Beispiel auf dem Boden der Elektroverteilungen oder Abzweigdosen eine entsprechende Menge der Flüssigkeit ansammeln. Das Austreten der Flüssigkeit ist eine Form des Alterungsprozesses der Leitungen, konkret der verarbeiteten Kunststoffe und Isoliermaterialien. Aus heutiger Sicht lässt sich nicht vorhersagen, wann und bei welcher Leitungsanlage dieses Phänomen auftreten wird.

Flüssigkeit am Boden einer geöffneten Abzweigdose
Je nach Alter kann sich auf dem Boden der Elektroverteilungen oder Abzweigdosen eine entsprechende Menge der Flüssigkeit ansammeln

In einem handwerklich geprägten Mitgliedsbetrieb der BG ETEM haben mehrere Elektrofachkräfte kurzerhand ihre Fachkraft für Arbeitssicherheit informiert, als sie besagte Flüssigkeit an einer Arbeitsstelle feststellten – ein gutes Beispiel für gelebte Sicherheitskultur und umsichtiges Handeln.

Nachdem die Fachkraft für Arbeitssicherheit verschiedenste Tropf- und Sammelstellen dieser ominösen Flüssigkeit von Leitungsanlagen an räumlich getrennten Standorten besichtigt hatte, stellte sie sich im Rahmen der Gefährdungsermittlung folgende Fragen:

  • Was ist das für eine Flüssigkeit?
  • Ist die Flüssigkeit gefährlich für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die damit in Berührung kommen?
  • Kann die Flüssigkeit verdampfen und somit eingeatmet werden?
  • Wie können sich Beschäftigte vor möglichen Gesundheitsgefährdungen schützen?

Zur Beantwortung dieser Fragen schaltete der Betrieb die BG ETEM ein. Das Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA) analysierte im Auftrag der BG Proben der Flüssigkeit und kam zu folgenden Aussagen: Die Proben enthalten (in willkürlicher Reihenfolge):

  • Di(2-ethylhexyl)phthalat, auch bekannt als Bis(2-ethylhexyl)phthalat
  • Dinbutylphthalat, auch bekannt als Dibutylphthalat
  • Diisononylphthalat (teilweise in einer Größenordnung von 20 bis 30 Prozent)

Gemäß Umweltlexikon zählen Phthalate zu den schwerflüchtigen organischen Verbindungen und kommen als Weichmacher unter anderem in PVC, Farben, Lacken und Kunststoffen zum Einsatz. Die akute Toxizität von Phthalaten ist gering, aber sie können ähnlich wie Hormone wirken und damit die Fortpflanzungsorgane verändern sowie das Immunsystem beeinträchtigen.

Planung der elektrotechnischen Arbeiten

Die Planung der Arbeiten beinhaltet die Gefährdungsbeurteilung und in der Folge die Festlegung von Schutzmaßnahmen in der bekannten Reihenfolge: T-O-P (Technische, Organisatorische und Persönliche Schutzmaßnahmen).

Um zu prüfen, ob eine Gefährdung der Beschäftigten vorliegt, ist die Gefährdungsbeurteilung nach DGUV Vorschrift 1 von den Arbeitgebenden fachkundig zu erstellen und zu dokumentieren. Verfügen diese nicht über die ausreichende Fachkunde, so haben sie sich fachkundig beraten zu lassen. Das können auch die Fachkraft für Arbeitssicherheit und die Betriebsärztin oder der Betriebsarzt übernehmen, sofern sie über die erforderlichen Kenntnisse verfügen.

Da mangels „Hersteller“ der Tropfen keine Sicherheitsdatenblätter für die gefundenen Stoffe vorliegen, können die Informationen aus der GESTIS-Stoffdatenbank der DGUV herangezogen werden.

Di(2-ethylhexyl)phthalat und Di-n-butylphthalat sind beide als reproduktionstoxisch eingestuft und würden mit H360FD gekennzeichnet. Sie können also die Fruchtbarkeit beeinträchtigen und auch das Kind im Mutterleib schädigen. Eine Exposition ist also in jedem Fall unbedingt zu vermeiden. 

Diisononylphthalat ist nicht eingestuft. Die Schutzmaßnahmen müssen also auf die beiden erstgenannten Stoffe abgestimmt werden.

Da die Flüssigkeiten in sogenannten Bestandsanlagen austreten, werden bei der Arbeitsplanung vorzugsweise notwendige Instandsetzungsarbeiten, Anlagenerweiterungen oder Rückbauarbeiten betrachtet. Handwerkliche Arbeiten an Leitungsanlagen führen zu unmittelbarem Kontakt mit den Leitungen und weiteren, mit ihnen verbundenen elektrischen Betriebsmitteln und Installationsmaterialien, wie beispielsweise Klemmdosen. Die Erfahrung zeigt, dass die betrachteten phthalathaltigen Flüssigkeiten möglicherweise Haut und Arbeitskleidung kontaminieren. Eine inhalative Gefährdung lässt sich hingegen eher ausschließen, da die Dampfdrücke der jeweiligen Stoffe zu vernachlässigen sind.

Blick auf die Kabel im Inneren einer Klemmdose, an der sich Flüssigkeit gesammelt hat
Bei der Arbeit an Leitungsanlagen kann es zum direkten Kontakt mit Installationsmaterialien und damit zur Kontamination kommen.

Zu den Maßnahmen zum Schutz der Haut im Rahmen der Arbeitshygiene gehört in erster Linie, den Hautkontakt zu vermeiden. Lässt sich dieser nicht ausschließen, kann es erforderlich sein, geeignete Schutzkleidung (Schutzhandschuhe) zu tragen. Nach Kontakt mit der phthalathaltigen Flüssigkeit ist auf jeden Fall eine gründliche Hautreinigung unerlässlich. Insbesondere vor Pausen und bei Arbeitsende ist eine Hautreinigung mit Wasser und Seife erforderlich. Nach der Reinigung insbesondere zum Arbeitsende sind fetthaltige Hautpflegemittel zu verwenden, um die Hautregeneration zu unterstützen.

Um eine Verschleppung und spätere Kontamination der Haut zu verhindern, sollten Beschäftigte darüber hinaus Berührungen mit der Kleidung vermeiden und verunreinigte Kleidung wechseln. Durch die Arbeit kontaminierte Kleidung, Werkzeug und andere Gegenstände sind unter Beachtung der oben genannten Hygienemaßnahmen gründlich zu reinigen und gegebenenfalls zu entsorgen. 

In Arbeitsbereichen dürfen keine Nahrungs- und Genussmittel aufgenommen werden. Für diesen Zweck sind geeignete Bereiche einzurichten.

Beim Einsatz von geeigneten Schutzhandschuhen sind einige Punkte zu beachten:

  • Das Material der Handschuhe muss gegen den verwendeten Stoff ausreichend undurchlässig und beständig sein.
  • Vor Gebrauch die Dichtheit der Schutzhandschuhe prüfen.
  • Handschuhe vor dem Ausziehen vorreinigen, danach gut belüftet aufbewahren. Sofern nicht ausgeschlossen werden kann, dass phthalathaltige Flüssigkeit den Handschuh durchdringt, ist dieser am Ende der zulässigen Durchbruchzeit zu entsorgen, spätestens aber am Ende der Arbeitsschicht.
  • Hautpflege beachten: Die Haut kann je nach Tragedauer der Handschuhe durch den eigenen Schweiß aufgequollen sein.

Für die Auswahl der Schutzhandschuhe enthält die Stoffdatenbank GESTIS Empfehlungen für geeignete Handschuhmaterialien. Da in der Regel keine chemische Analyse der Flüssigkeiten erfolgt, bevor die Arbeiten an den Leitungsanlagen beginnen, empfiehlt es sich, grundsätzlich Handschuhmaterialien mit den widerstandsfähigsten Eigenschaften auszuwählen.

  • Nitrilkautschuk/Nitrillatex – NBR (0,35 Millimeter)
  • Butylkautschuk – Butyl (0,5 Millimeter)
  • Fluorkautschuk – FKM (0,4 Millimeter)
  • Polyvinylchlorid – PVC (0,5 Millimeter)

Nicht geeignet wegen Degradation, starker Quellung oder geringer Durchbruchzeit sind folgende Handschuhmaterialien:

  • Naturkautschuk/Naturlatex – NR
  • Polychloropren – CR

Die notwendige Tragezeit ergibt sich aus dem Umfang der geplanten Arbeiten. Werden die Handschuhe nur kurzzeitig oder als Tropfenschutz eingesetzt und nach Benetzung ausgewechselt, können gegebenenfalls auch dünnere Schutzhandschuhe mit geringeren Durchbruchzeiten eingesetzt werden. Die Zeitangaben der Durchbruchzeiten sind Richtwerte aus Messungen bei 22 Grad Celsius und dauerhaftem Kontakt. Erhöhte Temperaturen durch erwärmte Substanzen, Körperwärme und so weiter sowie eine Verminderung der effektiven Schichtstärke durch Dehnung können in der Praxis dazu führen, dass die Durchbruchzeit erheblich verringert ist. Im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung sollte der geeignete Schutzhandschuh mit Hilfe der Hersteller oder Lieferanten sowie die maximal zulässige Tragezeit festgelegt werden.

Michael Heurich (AP, BG ETEM), Bernd-D. Zoldahn (Fasi, Bodo Wascher Gruppe)