Fabrikhalle mit Webmaschinen.

In der Förderung des Sicherheitsbewusstseins von Vorgesetzten und Mitarbeitern liegt der Schlüssel zur Vermeidung von Unfällen. Dazu stellt die BG ETEM eine ganze Reihe von Medien und Arbeitsmaterialien zur Verfügung.

Kurz vor Ende der Schicht. Ein Mitarbeiter hat mithilfe des Ketteinlegewagens den unteren Kettbaum in die Frottee-Webmaschine eingelegt. Danach transportiert er den Kettbaum für die obere Position heran. An beiden Seiten der Webmaschine verengen Säulen der Hallenkonstruktion den Zugang. Konzentriertes Rangieren ist also erforderlich.

Doch der Mitarbeiter will kurz vor Schichtende fertig werden. Er rangiert etwas zu ungeduldig und der Ketteinlegewagen touchiert den Hallenpfosten. Statt neu anzusetzen, versucht der Beschäftigte den Wagen mit Gewalt an der Säule vorbeizufahren. Dabei brennt die Überlastsicherung des Antriebs durch.

Der Wagen bleibt bewegungsunfähig zwischen den Säulen liegen. Spätestens jetzt hätte er den Vorgang abbrechen und den Elektriker zum Austausch der Sicherung herbeirufen sollen. Danach hätte er selbst oder sein Kollege der Folgeschicht den Einlegevorgang mit der nötigen Ruhe abschließen können.

Aber stattdessen versucht er, den Kettbaum auf andere Weise in die Maschine zu bekommen. Dazu bittet er einen Kollegen um Hilfe. Sie heben den Kettbaum mit dem Hallenkran aus dem Einlegewagen, um ihn auf diese Weise einzulegen.

Doch das vorstehende Ende der Jacquardbühne verhindert, dass der Kettbaum bis an die Aufnahmen heranbewegt werden kann. Beim Versuch, den an zwei Rundschlingen hängenden Kettbaum mit Muskelkraft auszulenken, um die Einlegeposition auf diese Weise zu erreichen, gerät der Beschäftigte mit der Hand zwischen die Kettbaumscheibe und das Maschinengestell. Die Folge: eine schwere Quetschung der Hand.

Unüberlegt gehandelt

Im Nachhinein ist jedem die Unvernunft der Handlungsweise klar. Nicht nur, dass die Aufnahmeposition an der Webmaschine mit dem Hallenkran wegen der vorstehenden Jacquardbühne gar nicht erreichbar war. Denn selbst wenn dies geglückt wäre, hätten die breiten Lastschlingen ein Einlegen in die Aufnahmen verhindert oder die gegenüber der Aufnahme innen liegenden Rundschlingen wären nicht mehr abzunehmen gewesen. Man hätte letztlich die Rundschlingen während des gesamten Abwebens an der Maschine lassen oder zerschneiden müssen.

Die Gründe für eine solche aus der Hektik entstandene, unüberlegte Handlungsweise sind andererseits menschlich und nachvollziehbar.

  • Es war eine möglichst geringe Einschränkung der Produktion beabsichtigt. Die Maschine hätte bereits mit der Produktion beginnen können, bevor der Ketteinlegewagen repariert war.
  • Der Folgeschicht sollte kein unerledigtes Problem überlassen werden.
  • Mögliche Vorwürfe der Vorgesetzten sollten vermieden werden.
  • Nicht zuletzt spielte Schamgefühl für eigene Fehler eine Rolle.

Mehrmals durchatmen und kurz nachdenken hätte vermutlich gereicht, um zu erkennen, dass es auch im Sinne der Produktivität vernünftiger gewesen wäre, zunächst den Betriebselektriker zu holen.

Doch Menschen handeln in Stresssituationen nicht immer logisch und vernünftig. Daher stellt sich die Frage: Wie kann der Arbeitgeber eine sichere Handlungsweise fördern?

  • Die Betriebsleitung muss deutlich machen, dass die Gesundheit der Beschäftigten dem Unternehmen wichtiger ist als eine Produktionsunterbrechung. Letzten Endes ist das auch wirtschaftlicher, da Unfälle erheblich größere Produktionsverluste nach sich ziehen können als Abschalten zur sicheren Behebung einer Störung.
  • Eine konstruktive und offene Fehlerkultur ohne Schuldzuweisungen ermöglicht es, aus Fehlern zu lernen und die Betriebsabläufe kontinuierlich zu verbessern.
  • Auf das sichere Verhalten ist bei der Ausbildung, beim Anlernen neuer Mitarbeiter und bei der Unterweisung hinzuwirken.
  • Nicht zu vernachlässigen ist hierbei die Vorbildwirkung von Führungskräften, Vorarbeitern, Meistern, Betriebshandwerkern, Kollegen und nicht zuletzt die grundsätzliche Wirkung von in der Vergangenheit erlebten betrieblichen Entscheidungen.

Martin Steiner