Das Foto zeigt die Silhouette eines Frauengesichtes. Sie ist aus vielen schwarzen Strichen entstanden.

Nach traumatischen Erlebnissen frühzeitig eingreifen und langfristige Folgen vermeiden. Das ist ein Ziel des Psychotherapeutenverfahrens.

In einem gewerblichen Unternehmen werden wie an jedem Morgen die Maschinen in der Produktionshalle gereinigt. Plötzlich hören die anwesenden Beschäftigten laute Hilferufe: Maschinenbediener Klaus L. ist bei den Reinigungsarbeiten mit seiner Hand in eine Walze geraten und kann sich selbst nicht mehr befreien. Neben den massiven Quetschverletzungen hat Klaus L. nach dem Unfall auch mit psychischen Problemen zu kämpfen: Noch Wochen später holen ihn beim Versuch, die Maschine wie bisher zu bedienen, starke Angstgefühle und Albträume ein. Psychische Erkrankungen gehören zu den häufigsten Gesundheitsproblemen.

Neben täglich wiederkehrenden Belastungen kann eine psychische Diagnose auch durch ein einziges Trauma, etwa einen Arbeitsunfall, ausgelöst werden.

Nicht nur Arbeitsunfälle können sich auf die Psyche auswirken. Auch langwierige Erkrankungsverläufe bei Berufskrankheiten – etwa eine schwere Krebserkrankung mit einem komplizierten Heilungsverlauf – tangieren die psychische Gesundheit. Im Vergleich zum Jahr 2013 sind 2018 in der BG ETEM die Versicherungsfälle mit einer psychotherapeutischen Behandlung um 48 Prozent von 897 auf 1.334 Fälle gestiegen. Damit geht eine Kostensteigerung einher: Hat die BG ETEM 2013 noch 1,08 Millionen Euro für psychotherapeutische Behandlungen ausgegeben, waren es 2018 bereits 1,89 Millionen Euro.

Doch wie ist eigentlich der Ablauf in der gesetzlichen Unfallversicherung, wenn ein Patient eine versicherungsfallbedingte, psychische Belastung beklagt? Eine frühzeitige Intervention kann der Entstehung und Chronifizierung von psychischen Gesundheitsstörungen entgegenwirken. Zuweilen helfen bereits wenige Therapiestunden, um das Erlebte besser verarbeiten zu können. Arbeitsunfähigkeitszeiten lassen sich so vermeiden oder zumindest minimieren.

»Das Gute an dem Verfahren ist, dass sich die Therapeuten verpflichten, innerhalb einer Woche mit der Therapie zu beginnen. Die Versicherten spiegeln uns oft zurück, dass die zeitnahe Unterstützung für den Heilungsprozess hilfreich war.«

Sachbearbeiterin Hannah Schnitzler, Abteilung Grundsatz und Organisation

Partner im Heilverfahren

Das Psychotherapeutenverfahren der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) dient einer solchen frühzeitigen Intervention. Seit 1. Juli 2012 ist es in Kraft. Geregelt sind darin u. a. Zulassungsanforderungen und Handlungsabläufe, die auf die besonderen Rahmenbedingungen der gesetzlichen Unfallversicherung zugeschnitten sind. Neben einer adäquaten störungsspezifischen Heilbehandlung stehen der Erhalt der Arbeitskraft und das Ziel der schnellen beruflichen Wiedereingliederung im Fokus.

In dem Verfahren sind auch die Anforderungen an die dafür zugelassenen Therapeutinnen und Therapeuten definiert. Denn nur besonders befähigte Fachkräfte werden mit der Behandlung traumatisierter oder anderweitig psychisch beeinträchtigter Patienten beauftragt. Sie müssen beispielsweise spezielle Kenntnisse in der Diagnostik und der Behandlung nach Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten haben. Verpflichtende regelmäßige Fortbildungen sorgen dafür, dass bestehende Kompetenzen gefestigt, vertieft und auf dem aktuellsten Stand gehalten werden.

Individuelle Unterstützung

Die Therapeutinnen und Therapeuten stellen ein wichtiges Element im Heilverfahren der Berufsgenossenschaft dar, und zwar nicht nur weil sie Betroffene dabei unterstützen, wieder in ihren (beruflichen) Alltag zurückzufinden. Auch der direkte Kontakt zur Berufsgenossenschaft ist von zentraler Bedeutung. Es wird zusammen nach individuellen Lösungen gesucht und diese in Absprache mit den Betroffenen umgesetzt.

Die Therapie wird von der Berufsgenossenschaft oder dem behandelnden Durchgangsarzt eingeleitet. Der Behandlungsauftrag beinhaltet die Kostenübernahme von bis zu fünf probatorischen Sitzungen. Mit diesen „Kennenlern-Sitzungen“ lässt sich klären, ob eine Psychotherapie überhaupt sinnvoll ist und ob Patient und Behandler zueinanderpassen. Nach Abschluss der probatorischen Sitzungen prüft der Therapeut die Notwendigkeit weiterer psychotherapeutischer Maßnahmen und beantragt gegebenenfalls weitere Sitzungen. Die Berufsgenossenschaft prüft diesen Antrag. Dabei werden zunächst maximal zehn weitere Sitzungen bewilligt. Abhängig von Berichterstattung und Prüfung können auch nach diesen Behandlungseinheiten weitere Einheiten bewilligt werden.

Aus Erfahrung gut

Bei dem Psychotherapeutenverfahren handelt es sich nicht um eine neue Behandlungsform: Ambulante Psychotherapie ist schon lange ein fester Bestandteil bei der Behandlung von Unfallverletzten und an Berufskrankheiten Erkrankten. Die gesetzliche Unfallversicherung hat deshalb bereits im Jahr 2004 regional ein Modellverfahren eingeführt, das den Betroffenen eine zeitnahe adäquate Therapie ermöglichen sollte. Daraus ist dann das aktuell geltende Psychotherapeutenverfahren entstanden, das bundesweit gilt.

 

Nancy Schmidt