Der Auszubildende Kevin Müller montiert mit seinem Chef Martin Kessler eine Photovoltaikanlage auf einem Dach. Die Männer arbeiten in 5 m Höhe, die Arbeitsstelle ist gegen einen möglichen Absturz ungesichert. Die Aufsichtsperson, die die Baustelle besichtigt, stellt die Arbeit mit einer sofort vollziehbaren Anordnung ein.
Bei einer Betriebsbesichtigung stellt eine Aufsichtsperson fest, dass es in der Huber GmbH keine Gefährdungsbeurteilung gibt und die Beschäftigten nicht unterwiesen werden. Eine entsprechende Anordnung der Aufsichtsperson wird von Geschäftsführer Klaus Huber nicht umgesetzt.
Was haben diese Vorfälle gemeinsam? Beide – aus Datenschutzgründen wurden die Namen geändert – sind typische Fälle im Ordnungswidrigkeiten- und Regressausschuss. Grund genug, sich die Arbeit dieses Ausschusses näher anzuschauen.
Gründe für ein Bußgeld
Martin Kessler hat gegen die DGUV Vorschrift 38 „Bauarbeiten“ verstoßen, weil er nicht für eine ausreichende Absturzsicherung gesorgt hat. Das ist laut Unfallverhütungsvorschrift „Bauarbeiten“ eine Ordnungswidrigkeit. Es spielt keine Rolle, ob ein Unfall passiert ist oder nicht.
Der Ausschuss wird auch gegen Klaus Huber ein Bußgeld verhängen. Grund dafür ist, dass er bestandskräftige Anordnungen der Aufsichtsperson nicht umgesetzt hat. Üblicherweise wird das Bußgeld gegen ein Mitglied der Unternehmensleitung verhängt. Das Bußgeldverfahren kann sich jedoch auch gegen eine von der Unternehmensleitung beauftragte Person richten.
Experten aus der Praxis
Der Ordnungswidrigkeiten- und Regressausschuss besteht aus acht Mitgliedern, die je zur Hälfte ehrenamtliche Vertreterinnen und Vertreter der Arbeitgeber und der Versicherten sind. Sie kommen selbst aus der Praxis, sind Unternehmerinnen und Unternehmer oder tragen auf Seite der Beschäftigten Verantwortung. Alternierende Vorsitzende sind Roland Walter für die Arbeitgeber und Roland Jäschke auf Seiten der Versicherten.
»Wichtig für unser Gremium ist es, die Bußgelder mit einem gesunden Augenmaß für Verstöße gegen die Arbeitssicherheit zu verhängen.«
Roland Jäschke
Die Ausschussmitglieder handeln im Auftrag des Vorstands der Berufsgenossenschaft. Bei ihren Sitzungen trägt ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin der Verwaltung den jeweiligen Sachverhalt vor und nimmt beratend an der Diskussion teil. Die Ausschussmitglieder entscheiden, ob ein Bußgeld verhängt wird und wie hoch es ausfällt.
Die Höhe des Bußgelds wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst. Eine wichtige Rolle spielen die Schwere des Verstoßes oder auch die Tatsache, ob ein Beschäftigter vielleicht sogar verletzt wurde oder verstorben ist. Berücksichtigt wird auch, wenn der Bußgeldadressat schon in der Vergangenheit negativ auffiel. Zugunsten des Betroffenen wird berücksichtigt, wenn es um einen ersten Verstoß geht oder der Betrieb ansonsten arbeitsschutzrechtlich gut aufgestellt ist. Auch das Verhalten nach dem Verstoß kann eine Rolle spielen.
Keine leichte Entscheidung für die Ausschussmitglieder. Bei der Bemessung der Geldbuße gilt: Sie soll über dem wirtschaftlichen Vorteil liegen, der aus dem Normverstoß gezogen wurden. Begrenzt wird sie durch die gesetzlich vorgegebene Maximalhöhe von 10.000 Euro.
Keine Doppelbestrafung
Wäre Kevin Müller aufgrund der fehlenden Sicherung abgestürzt, hätte wahrscheinlich auch die Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufgenommen und ein Strafverfahren gegen Martin Kessler eingeleitet.
Würde er im Rahmen eines solchen Strafverfahrens verurteilt, wäre ein Bußgeldverfahren durch die Berufsgenossenschaft ausgeschlossen. Die Juristen sprechen in diesem Zusammenhang vom Strafklageverbrauch. Darunter versteht man, dass man wegen eines Vorfalls nicht mehrfach bestraft werden darf.
Entlastung der Beitragszahler
Neben der Verhängung von Bußgeldern kann der Ausschuss auch Regress bei Vorgesetzten oder dem Unfallunternehmen als juristische Person nehmen. Bei vorsätzlichem Handeln oder grober Fahrlässigkeit soll die Solidargemeinschaft der Unternehmen nicht mit den zum Teil sehr hohen Kosten bei schweren Unfällen belastet werden.
Die Berufsgenossenschaft richtet sich mit ihren Schadenersatzforderungen an den Verursacher. Die Regressnahme ist somit eine Ausnahme von der Haftungsablösung, die die Berufsgenossenschaft grundsätzlich leistet.
Was die Mitglieder des Ausschusses antreibt, beschreiben die beiden Vorsitzenden Roland Walter und Roland Jäschke so: „Die persönlichen Schicksale lassen niemanden bei uns ungerührt. Denn manchmal sind die Auswirkungen persönlichen Fehlverhaltens gravierend.“
»Wer beim Arbeitsschutz spart, verschafft sich auch einen Kostenvorteil. Das gleichen wir mit Bußgeldern aus.«
Roland Walter
Sie loben die Zusammenarbeit der Haupt- und Ehrenamtlichen bei der Beurteilung der Sachverhalte. Dennoch komme es manchmal zu unterschiedlichen Einschätzungen – selten in der Tendenz, aber in Bezug auf die Höhe der Bußgelder oder anderer Maßnahmen. Insgesamt ziehen sie eine positive Bilanz: „Durch die Zusammenarbeit sind die Entscheidungen besser und fairer gegenüber allen Beteiligten. Grundsätzliche Erkenntnisse können wir auch anderen Ausschüssen weitergeben, um wiederkehrenden Problemen besser begegnen zu können.“
Birgit Mees
Der Ablauf eines Bußgeldverfahrens
Zu Beginn eines Bußgeldverfahrens wird der Bußgeldadressat oder die Bußgeldadressatin informiert, dass ein Verfahren eingeleitet wurde und die Möglichkeit besteht, sich zu den erhobenen Vorwürfen zu äußern. Eine Stellungnahme wird im Verfahren berücksichtigt und den Ausschussmitgliedern zur Kenntnis gebracht.
Nach der Entscheidung der Ausschussmitglieder erstellt die Verwaltung einen Bußgeldbescheid und stellt ihn zu. Hiergegen kann der Betroffene Einspruch erheben. Über den Einspruch entscheidet dann die Widerspruchs- und Einspruchsstelle, die wie der Ordnungswidrigkeiten- und Regressausschuss mit Vertreterinnen und Vertretern der Arbeitgeber und der Beschäftigten paritätisch besetzt ist. Die Widerspruchs- und Einspruchsstelle kann dem Einspruch ganz oder teilweise stattgeben oder die Entscheidung des Ordnungswidrigkeiten- und Regressausschusses bestätigen.
Wird dem Begehren nicht abgeholfen, wird das Verfahren an die Staatsanwaltschaft abgegeben, die das Verfahren prüft und zur Entscheidung an das Amtsgericht abgibt. Dort wird dann entweder nach einer mündlichen Verhandlung oder auch nur im schriftlichen Verfahren das Urteil gefällt.
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