Es gibt Unfälle, bei denen im Nachhinein das Verhalten – meist des Verletzten selbst – als unvernünftig einzustufen ist. Doch damit macht man es sich zu einfach. Denn es hat tiefere Gründe, Risiken einzugehen.
Eine Motivation: die Produktion möglichst wenig behindern – gewissermaßen ein erhöhter Einsatz zum Wohle des Unternehmens. Ein anderes Motiv: zeitaufwendige und schmutzige Mehrarbeit durch einen Stopp zu vermeiden. Manchmal menschelt es auch, wenn man zusätzlichen Aufwand für Kollegen vermeiden und das eigene Ansehen fördern möchte.
Demgegenüber wird das persönliche Unfallrisiko zu niedrig eingeschätzt – wird schon gut gehen; ist bisher immer gut gegangen. Auch das betriebliche Risiko wird nicht realistisch bewertet. Denn ein Unfall kann erhebliche Produktionsausfälle nach sich ziehen.
Es ist daher sehr wichtig, dass die Unternehmensleitung auf ein hohes technisches Sicherheitsniveau achtet. Dazu gehört, den Beschäftigten zu vermitteln, dass der Betrieb Wert auf sicheres Arbeiten und sicheres Verhalten legt und dass Sicherheit und Gesundheit gegenüber der Produktionsleistung immer Vorrang haben.
Probleme am Legerband
Herr A. war Maschinenführer einer Vliesstofflinie. Am Kreuzleger gab es Probleme. Das Transportband blieb nicht zentriert, sondern verlief auf der Walze. Herr A. vermutete die Ursache in einer Verschmutzung der Walze oder der Bandunterseite.
Die Anlage war komplett durch trennende Schutzeinrichtungen gesichert. Für bestimmte Instandhaltungsarbeiten war aber ein Sonderbetrieb möglich. Dabei ist bei deutlich reduzierter Geschwindigkeit ein Zugang ins Innere der Anlage möglich.
Diesen Sonderbetrieb nutzte Herr A., um die Ursache näher einzugrenzen. Er betrat den Bereich zwischen Krempel und Leger. Hierbei muss er an das laufende Tuch oder an eine Walze gegriffen haben. Vermutlich wurde zunächst die Hand erfasst und dann der ganze Arm zwischen Tuch und Walze bzw. zwischen der ersten und einer nur ca. 6 cm entfernten zweiten Walze eingezogen. Unmittelbare Zeugen gibt es nicht. Der Verletzte hatte sich, ohne jemandem Bescheid zu sagen, alleine zur Störungssuche begeben.
Glücklicherweise hörte ein in der Nähe befindlicher Kollege seine Hilfeschreie und war sehr schnell zur Stelle, um die Maschine zu stoppen. Diesem schnellen Eingreifen und dem Umstand, dass das Transportband einriss, ist es zu verdanken, dass der Arm erhalten bleiben konnte.
Um einen solchen Unfall künftig zu vermeiden, hat der Betrieb die Gefährdungsbeurteilung für die Anlage überarbeitet und genau festgelegt:
- wofür der Sonderbetrieb unumgänglich ist,
- dass der Sonderbetrieb nur für die festgelegten Tätigkeiten genutzt werden darf,
- mit welcher Begründung die in der Rangfolge für Sonderbetriebszustände vor „Langsamlauf in Verbindung mit Not-Halt“ genannten Varianten für die speziellen Erfordernisse im vorliegenden Fall nicht geeignet sind,
- wer für die Nutzung des Sonderbetriebes qualifiziert ist,
- wie der richtige Arbeitsablauf im Sonderbetrieb ist und dass die Tätigkeit immer von einer zweiten Person beaufsichtigt wird.
Außerdem wurde eine Not-Halt-Schaltleine nachgerüstet, die von der Position aus, in der sich der Mitarbeiter beim Sonderbetrieb im Innenbereich der Anlage befindet, leicht erreichbar ist.