Vater mit zwei kleinen Kindern sitzt mit Kopfhörer im Homeoffice am PC und nimmt an einer Videokonferenz teil. Eins der Kinder sitzt auf seinem Schoß und schaut auf ein Tablet, das andere lehnt sich auf den Schreibtisch und schaut dem Vater zu.Vater mit zwei kleinen Kindern sitzt mit Kopfhörer im Homeoffice am PC und nimmt an einer Videokonferenz teil. Eins der Kinder sitzt auf seinem Schoß und schaut auf ein Tablet, das andere lehnt sich auf den Schreibtisch und schaut dem Vater zu.

Arbeiten im Homeoffice, Kinderbetreuung, soziale Distanz: Die Herausforderungen der Corona-Krise stellen für viele Beschäftigte eine psychische Belastung dar.

Psychische Belastung spielt in immer mehr Betrieben eine Rolle. Hat sich durch die Pandemie da etwas geändert?

Dr. Just Mields: Die Corona-Krise dauert jetzt schon länger als ein Jahr. Auch wenn sich die Lage langsam etwas entspannt, mussten die Menschen viele Herausforderungen bewältigen. Das fängt mit der Notwendigkeit an, Abstand voneinander zu halten, und reicht bis zu Existenzsorgen wegen Umsatzeinbußen, Kurzarbeit oder Jobverlust.

Jella Heptner: Und nicht zu vergessen die veränderte Situation an vielen Arbeitsplätzen: Entweder muss man ständig Maske tragen und Abstand halten oder man arbeitet im Homeoffice – häufig mit gleichzeitiger Betreuung der Kinder. Diese Belastungen zehren bei vielen an den Kräften.

Porträtfoto von Jella Heptner, Arbeitspsychologin bei der BG ETEM. Frau Heptner hat längere rotblonde Haare, trägt ein dunkles Oberteil und lächelt in die Kamera. Porträtfoto von Dr. Just Mields, Arbeitspsychologe bei der BG ETEM. Herr Mields hat kurze graue Haare, trägt ein dunkles Hemd und lächelt.

Jella Heptner und Dr. Just Mields beschäftigen sich als Arbeitspsychologen bei der BG ETEM unter anderem mit Möglichkeiten zur Gestaltung gesunder Arbeitsbedingungen und zur Reduzierung psychischer Belastungen am Arbeitsplatz.

Führen aus dem Homeoffice – wie halte ich da den Kontakt zu meinen Leuten?

Mields: Was den Menschen am meisten fehlt, ist der Austausch untereinander. Da kann man sich mit Telefon- oder Videokonferenzen helfen, bei denen es mal nicht um ein konkretes Projekt geht. Ein fester Termin in der Woche, bei dem jeder über seine Situation, seine Sorgen und Nöte berichtet, oder eine virtuelle Feierabendrunde können zwar das persönliche Gespräch auf dem Flur nicht ersetzen. Sie helfen aber, den Kontakt zu halten.

Heptner: Wichtig ist, dass man einen festen Termin hat. Das schafft Verbindlichkeit. Man bleibt in Verbindung, auch über die pure Auftragsabwicklung hinaus. Das wirkt sich positiv aufs Arbeitsklima und letztendlich auch auf die Leistung der Beschäftigten aus.

Wann empfinden Menschen Arbeit als belastend?

Heptner: Das ist natürlich individuell sehr unterschiedlich. Was die eine noch als sportliche Herausforderung empfindet, kann für den anderen schon puren Stress bedeuten. Eines aber gilt: Fühlen sich Beschäftigte schlecht informiert, – z. B. über die wirtschaftliche Lage des Betriebs, sind Kompetenzen nicht klar zugewiesen oder werden Handlungsspielräume als zu eng empfunden, führt das schneller zu einem Gefühl der Überforderung als bei positiveren Rahmenbedingungen.

Mields: Arbeit wird häufig dann als psychisch belastend empfunden, wenn es an Klarheit fehlt, – z. B. bei der Aufgabenstellung oder den Zielen. In der Pandemie kommen noch andere Faktoren dazu, z. B. die Angst vor Ansteckung oder Unsicherheit im Umgang mit Kolleginnen und Kollegen.

Wie erkenne ich psychische Probleme bei einem Mitarbeiter oder einer Mitarbeiterin?

Heptner: Wenn Sie als Führungskraft regelmäßig mit Ihren Beschäftigten im Austausch stehen und ein vertrauensvolles Miteinander herrscht, kommt die betroffene Person vielleicht von sich aus auf Sie zu. Aber auch auf nonverbaler Ebene lässt sich meist eine Veränderung feststellen: Zieht der oder die Mitarbeitende sich über Wochen verstärkt zurück, zeigt weniger Freude auf der Arbeit, reagiert häufiger aufgebracht oder ist weniger leistungsfähig, dann sind das Anhaltspunkte dafür, dass eine Person psychisch beeinträchtigt ist.

Video „7 Schritte zu gesunden Arbeitsbedingungen – auch für die Psyche“.

Was kann ich als Arbeitgeber in einem solchen Fall tun?

Mields: Wenn Ihnen eine Verhaltensänderung auffällt, sollten Sie das so früh wie möglich ansprechen. Hinauszögern nützt nichts, es schadet nur. Die Situation könnte sich zuspitzen. Ein vertrauensvolles Gespräch kann das verhindern und dazu beitragen, eine Lösung zu finden. Die Botschaft dabei sollte sein: Ich sehe, dass dich etwas bedrückt. Ich möchte gemeinsam mit dir eine Lösung finden und ich unterstütze dich so gut ich kann. Gleichzeitig ist aber auch klar: Mein Ziel ist, dass wir hier gut und erfolgreich zusammenarbeiten, und da muss jeder seinen Beitrag leisten.

Und wie gehe ich vor, wenn ich den Verdacht habe, einer meiner Leute trinkt oder nimmt Drogen?

Mields: Anzeichen für einen problematischen Alkohol- oder Drogenkonsum sind neben einer häufigen Fahne oder Tarnversuchen wie ständiges Bonbonlutschen z. B. häufigere Unpünktlichkeit, Fehlzeiten, Konzentrationsschwächen und schließlich auch Leistungsmängel. Der erste Schritt ist auch hier ein Gespräch unter vier Augen. Dabei geht es nicht darum, eine Abhängigkeit festzustellen, denn die Führungskraft ist weder Arzt noch Therapeut, sondern es geht darum sicherzustellen, dass von dem Kollegen keine Selbst- oder Fremdgefährdung ausgeht, z. B. bei der Arbeit an und mit Maschinen.

Heptner: Wichtig ist auch die Perspektive. Machen Sie keine Vorwürfe, sondern teilen Sie Ihre Sicht der Dinge mit. Beschreiben Sie Ihre Beobachtungen und zeigen Sie Ihre Besorgnis über eine mögliche Sucht. Wie Sie dabei vorgehen können, beschreibt die Broschüre „Alkohol und Arbeit – zwei, die nicht zusammenpassen“ der BG ETEM.

Was kann ich als Arbeitgeber tun, um psychische Belastungen für meine Beschäftigten zu reduzieren?

Heptner: Ein wichtiger Punkt: Sorgen Sie für Transparenz. Informieren Sie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter regelmäßig und offen über die Situation des Unternehmens. Und seien Sie dabei ehrlich, das stärkt das Vertrauen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in „ihr“ Unternehmen. Darüber hinaus gilt, was wir schon eingangs gesagt haben: Eine konstruktive Atmosphäre und ein offener und vertrauensvoller Umgang miteinander sind gute Voraussetzungen für ein gesundheitsförderndes Arbeitsklima.

Mields: Dazu gehört auch eine gute Arbeitsorganisation mit ausreichend Pausen. Sorgen Sie dafür, dass Ihre Beschäftigten Pausenzeiten einhalten und sich zwischendurch erholen. Das reduziert Stress und mindert die Fehlerquote. Und davon profitiert am Ende das ganze Unternehmen.

Was bietet die BG ETEM zur Unterstützung an?

Mields: Es gibt eine ganze Reihe von Handlungshilfen und Tools – gerade im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie, aber auch darüber hinaus. Daraus lassen sich wertvolle Tipps für den betrieblichen Alltag ableiten. Das Materialkann auf der Website der BG ETEM heruntergeladen werden. Damit die Umsetzung gelingt, beraten wir Mitgliedsbetriebe, zum Beispiel zur Durchführung der Gefährdungsbeurteilung mit Schwerpunkt psychischer Belastungen.

Seit Kurzem gibt es die Offensive Psychische Gesundheit. Was bringt das für die Betriebe?

Mields: Mit der Offensive wirbt die BG ETEM zusammen mit vielen bedeutsamen Institutionen– darunter drei Bundesministerien – für mehr Offenheit im Umgang mit psychischen Störungen. Wir wollen, dass psychische Probleme aus der Ecke der Stigmatisierung herausgeholt werden und als das anerkannt werden, was sie sind: Krankheiten, gegen die man etwas tun kann. Das soll dazu führen, dass betroffene Führungskräfte und Beschäftigte früher Hilfe suchen. Aber auch dazu, dass Unternehmen der psychischen Belastung mehr Aufmerksamkeit schenken und die Arbeit mithilfe einer Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung gesundheitsgerecht gestalten.