Uwe Herter im Freien beim Bogenschießen mit seinem Compoundbogen. Er trägt einen rot-schwarzen Trainingsanzug und sitzt in einem Spezialrollstuhl.

Die schönste Nebensache der Welt: In der Reha hat Uwe Herter das Bogenschießen kennen- und lieben gelernt.

Ein Pfeil zischt durch die frische Nachmittagsluft. Mit einem satten „Plopp“ trifft er die Mitte der Zielscheibe. Uwe Herter lässt seinen Compoundbogen sinken und lächelt zufrieden. Wer dem 60-jährigen IT-Spezialisten aus Höfingen bei seinem Herzenssport zuschaut, sieht – abgesehen vom Rollstuhl – keinen Unterschied zu Menschen ohne Behinderung. „Das ist eines der tollen Dinge, die diese Sportart mir bringt. Es sieht nicht nur so aus, es ist auch tatsächlich Sport auf demselben Leistungsniveau wie bei Nichtbehinderten. Es gibt Beispiele für Parabogensportler, die nicht nur bei den Paralympics, sondern auch bei Olympia teilnahmen.“

Einer wie alle

In seinem Bogenschützenverein in Ditzingen ist Uwe Herter der einzige Sportler mit Behinderung – und trainiert genauso wie alle anderen. Seine Einschränkung ist kein Thema. „Meine Umwelt vergisst manchmal, dass ich behindert bin. Sie haben sich über den Lauf der Jahre daran gewöhnt“, sagt Herter. Auch bei der Arbeit spielt die Behinderung praktisch keine Rolle. Herter arbeitet bei Siemens im Anwendersupport für die Steuerung von Werkzeugmaschinen. Der Fahrradunfall, der sein Leben veränderte, liegt mittlerweile mehr als 20 Jahre zurück. Seitdem ist Herter vom Hals ab gelähmt.

Tetraplegie nennt man diese Form der Rückenmarksverletzung. Beine und Arme einschließlich Finger sind betroffen.

Mit dem Compoundbogen zurück ins Leben

Nach dem Unfall absolvierte Herter eine Reha in der Orthopädischen Klinik Markgröningen – und arbeitete hart an sich. So kam ein kleiner Teil der Körperfunktionen zurück. „Ich kann wieder stehen und den Rollstuhl ohne weitere Hilfsmittel ins Auto verladen.“ Und Herter fand seinen Sport: „In der Reha wurde mir Tischtennis oder Bogenschießen als mögliche Sportarten im Rollstuhl vorgestellt. Letzteres war für mich wie Liebe auf den ersten Blick.“ Der Bogen ist die schönste Nebensache der Welt in seinem Leben, natürlich abgesehen von der Familie: „Meine Frau und meine Kinder haben mich immer unterstützt und motiviert, meinen Bogensport zu betreiben. Sie haben gesehen, wie gut er mir tut und auch nicht protestiert, als ich zu meinen Hochzeiten bis zu siebenmal die Woche ins Training gefahren bin.“

Von der Reha-Maßnahme zum Leistungssport

Was in der Reha begann, wurde nämlich weit mehr als Reha-Sport. Herter gelangte mit dem Compoundbogen bis in die bundesdeutsche Leistungsspitze, nahm an vielen internationalen Wettkämpfen einschließlich der Paralympischen Spiele teil. In Rio belegte er 2016 den vierten Platz, „eine tolle Erfahrung solch ein Sportfest“. Seinen letzten internationalen Wettbewerb, den Europacup, bestritt er 2019 in Wiesbaden. Er gewann in der Behindertenklasse W1, der Klasse für Sportler mit umfangreichen Beeinträchtigungen aufgrund der Tetraplegie.

Maßgeschneiderte Mobilität

Ganz wichtig ist neben dem Sport auch eine wiedergewonnene motorisierte Bewegungsfreiheit. Während der Reha-Maßnahmen lernte Uwe Herter wieder Autofahren. Die BG ETEM bezuschusste zudem den behindertengerechten Umbau seines Vans. In diesen steigt Herter selbstständig ein, Gas und Bremse bedient er mit der Hand. Dadurch kann er ohne Hilfe Rollstuhl und Sportgeräte ein- und wieder ausladen und zum Training fahren. „Durch das von der Berufsgenossenschaft bezuschusste Fahrzeug kann ich selbstständig und so oft trainieren, wie ich möchte.“

Auf dem Trainingsplatz selbst hilft ihm ein Rollstuhlzuggerät, ein sogenannter Minitrac. Er ermöglicht ihm, auf einer Wiese mit dem Rollstuhl voranzukommen, um die Pfeile zu holen. „Dieses Gerät hat mir das eigenständige Trainieren auf dem Bogenplatz ohne fremde Hilfe überhaupt erst ermöglicht. Mittlerweile habe ich sogar einen umgebauten Segway für den Sport“, erzählt der 60-Jährige.

Hauptsache Bogenschießen

Seit einem Bandscheibenvorfall vor einem Jahr kann er seinen Bogen nicht mehr auf Hochleistungsniveau bedienen. „Die Rumpfstabilität hat nachgelassen“, erklärt Herter. Daher beendete der Parasportler seine internationale Karriere. In Ditzingen ist er als Hobbysportler auf dem Platz. Bogenschießen, das möchte er nicht missen. „Dieser Sport war schon immer eine Therapiemaßnahme und wird sie auch weiter bleiben“, sagt Herter. Und er kann sich vorstellen, diese Erfahrung an andere weiterzugeben.

„Beim Bogenschießen spielen Mentalität und die richtige Atemtechnik wichtige Rollen. Ziel ist eine ruhiger, harmonischer Bewegungsablauf.“

Uwe Herter, Parasportler

Nach wie vor fährt der Bogenschütze regelmäßig zum Reha-Sport in die Klinik in Markgröningen. Dort hat ihm unlängst seine Physiotherapeutin eine interessante neue Perspektive eröffnet, die ihn reizt: „Das Schmerzzentrum der Klinik in Markgröningen bietet therapeutisches Bogenschießen an. Vielleicht kann ich dort meine Erfahrung einbringen und Patientinnen und Patienten beim Bogentraining unterstützen.“

 

Annette Koch