Die Anzahl der Textilbetriebe wie auch der Textilmaschinenhersteller ist rückläufig. Daher sind einige Betriebe gezwungen, für ihre Erfordernisse geeignete Maschinen selbst zu entwickeln und zu erproben oder vorhandene Maschinen umzubauen.
In diesem Fall wurde eine Anlage geplant, gebaut und im Versuch betrieben, um eine Fadenschar mit ovalen Bändern einseitig zu beschichten. Bis auf eine Maschine waren alle Teile der Anlage Eigenbauten.
Wegen des Sicherheitskonzepts wurde mit einer Beraterfirma zusammengearbeitet. Die Anlage wurde über einen längeren Zeitraum immer mal wieder versuchsweise betrieben und entsprechend verändert.
Bei einer der selbst gefertigten Maschinen handelte es sich um ein Abzugswerk mit lediglich drei Walzen. Jede Walze wurde angetrieben. Es war eine Walzeneinzugsstelle vorhanden. Der Abstand der Walzen betrug ca. 40 Millimeter voneinander. Die Produktionsgeschwindigkeit lag bei lediglich acht Metern pro Minute. Die Maschine war etwas über einen Meter breit.
Da sich die Maschine noch in der Entwicklung befand, hat man eine Plexiglashaube geschaffen, die einfach über die Walzen aufzusetzen war – also eine Art Schutzhaube. Darüber hinaus waren Warnzeichen angebracht.
Zum Unfallzeitpunkt lief ein Versuch, um zu ermitteln, wie viele Meter beschichteter Faden auf eine Spule gewickelt werden konnte. Es wurde lediglich ein Faden beschichtet. Die als Übergangslösung gefertigte Schutzhaube war nicht aufgesetzt.
Wegen der Corona-Pandemie galten getrennte Pausenzeiten. Daher wurde die Anlage in bestimmten Zeiträumen allein betrieben. Zu dieser Zeit ging der Maschinenführer am Abzugswerk vorbei. Ihm wurde plötzlich schwarz vor Augen, er fiel mit Hand und Arm in die ungesicherte Einzugsstelle. Die Maschine zog den Arm bis zum Ellenbogen ein.
Der Maschinenführer konnte sich nicht selbst befreien. Sein lautes Rufen machte den Schichtleiter aufmerksam, der die Maschine abstellte. Erst die Feuerwehr konnte den Verletzten mithilfe einer Flex aus seiner misslichen Lage befreien. Er erlitt einen Knochenbruch und massive Hautverletzungen.
Welche Arbeitsschutzmaßnahmen waren zum Unfallzeitpunkt unzureichend?
- Die Schutzhaube war zwar im Betrieb vorhanden, jedoch nicht in Schutzposition. Laut Verletztem wurde die Maschine in der Regel ohne die Haube betrieben. → unzureichende Unterweisung sowie mangelnde Aufsicht
- Wäre die Schutzhaube elektrisch verriegelt gewesen, hätte sich der Unfall nicht ereignet. → konstruktiver Fehler
- Lange Zeit, um den Verletzten zu bergen. → fehlende Notfallplanung
Es handelte sich um eine Prototypenanlage, die nur immer mal wieder betrieben wurde. Die Produktionsgeschwindigkeit war eher gering. Eine nicht verriegelte Schutzhaube war vom Betrieb gefertigt worden. Trotzdem ist es durch eine plötzliche Gesundheitsstörung des Maschinenführers, die jeden treffen kann, zu einem folgenschweren Unfall gekommen.
Auch Anlagen und Maschinen im Versuchsbetrieb müssen unabhängig von der Betriebsdauer stets den Vorschriften nach gesichert sein.
Dieter Kaufel