Diisocyanate kommen in Klebstoffen, Schäumen, Lacken und Vergussmassen vor. Sie sind eine wichtige Substanzklasse bei der Herstellung und Anwendung polyurethan(PUR)-haltiger Materialien, die aus einem Binder und einem Härter bestehen. Der Binder enthält hauptsächlich Polyalkohole, die nicht als Gefahrstoffe eingestuft sind. Als Härter kommen hauptsächlich
- Methylendiphenyldiisocyanat (MDI),
- Hexamethylendiisocyanat (HDI),
- Toluoldiisocyanat (TDI) und
- Isophorondiisocyanat (IPDI)
zum Einsatz. Ob Diisocyanate in den jeweiligen Produkten enthalten sind, kann schnell mithilfe des Sicherheitsdatenblattes überprüft werden.
Gefährdung
Diisocyanate sind aufgrund ihrer atemwegsensibilisierenden Eigenschaften häufig Auslöser von berufsbedingtem Asthma (siehe Technische Regeln für biologische Arbeitsstoffe (TRBA) und für Gefahrstoffe (TRGS) 406). Schon geringe Konzentrationen können zu einer Sensibilisierung führen. Eine hohe Gefährdung durch Einatmen („inhalative Gefährdung“) kann insbesondere bei Spritz- oder Heißanwendungen vorliegen. Durch Hautkontakt können lokale toxische und allergische Reaktionen auftreten. In der Gefährdungsbeurteilung muss berücksichtigt werden, dass wiederholter Hautkontakt auch eine stoffspezifische bronchiale Überempfindlichkeit auslösen kann.
- Eine geringe inhalative Gefährdung liegt bei Diisocyanaten mit niedrigem Dampfdruck bei Raumtemperatur, wie z. B. MDI und p-MDI, oder der Verwendung von polymeren Diisocyanaten vor – wenn sich keine Aerosole bilden, keine staubbildenden Pulver eingesetzt werden und keine Erwärmung stattfindet. Dazu gehören Tätigkeiten wie z. B. das Vergießen von Bauteilen und Baugruppen in der Elektronikindustrie.
- Eine mittlere inhalative Gefährdung kann bei vielen Tätigkeiten durch Erwärmung (auch durch Reaktionswärme) von Diisocyanaten, wie z. B. bei MDI und p-MDI oder durch Anwendungen polymerer Isocyanate mit Aerosolbildung (z. B. Sprühen, Spritzlackierung, Folienkaschierung), vorliegen.
- Eine hohe inhalative Gefährdung liegt bei Tätigkeiten mit TDI und HDI vor, aber auch bei Aerosolbildung oder unter Erwärmung mit MDI und p-MDI in hohen Diisocyanat-Konzentrationen. TDI und HDI haben höhere Dampfdrücke als MDI. Typische Anwendungen mit hoher inhalativer Gefährdung sind z. B. Lackierungen, Verfahren für Oberflächenbeschichtungen oder Heißverklebungen.
Technisches Methylendiphenyldiisocyanat (p-MDI)
p-MDI steht für technisches Methylendiphenyldiisocyanat (CAS-Nr.: 9016-87-9). Es handelt sich um ein Gemisch bestehend aus:
- 4,4'-Methylendiphenyldiisocyanat, Diphenylmethan-4,4’-diisocyanat (4,4'-MDI, CAS-Nr.: 101-68-8),
- 2,4'-Methylendiphenyldiisocyanat, Diphenylmethan-2,4’-diisocyanat (2,4'-MDI, CAS-Nr.: 5873-54-1),
- 2,2'-Methylendiphenyldiisocyanat, Diphenylmethan-2,2’-diisocyanat (2,2'-MDI, CAS-Nr.: 2536-05-2),
- Prepolymeren (Dimere, Trimere) des MDI.
Berufskrankheiten
In der Europäischen Union (EU) erkranken jährlich schätzungsweise 5.000 Beschäftigte an berufsbedingtem Asthma durch Diisocyanate. In Deutschland wurde in den vergangenen Jahren eine gleichbleibend hohe Zahl an beruflich verursachten Erkrankungen bei den Berufsgenossenschaften gemeldet. Die Berufskrankheiten-Statistik (siehe Abbildung 1) zeigt die bestätigten Diisocyanat-Erkrankungen in Betrieben der BG ETEM im Vergleich zu Betrieben aller Unfallversicherungsträger (UV-Träger) im Zeitraum von 2002 – 2019. Berücksichtigt wurden Isocyanat-Erkrankungen (BK-Nr. 1315 Isocyanate) und Hautkrankheiten (BK-Nr. 5101).
REACH-Beschränkungsregelung
Die englische Abkürzung REACH steht für „Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals“ (deutsch: Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe). Die Beschränkung von Diisocyanaten (Verordnung (EU) 2020/1149) im Rahmen der REACH-Verordnung (Anhang XVII) wurde am 4. August 2020 im Amtsblatt der Europäischen Union (L 252) veröffentlicht und ist bereits in Kraft getreten. Die geforderten Maßnahmen für Diisocyanate als Stoff oder als Bestandteil in anderen Stoffen oder Gemischen gelten für industrielle oder gewerbliche Anwender. Nur wenn die entsprechenden Anforderungen umgesetzt sind, dürfen diese Produkte noch in Verkehr gebracht und/oder weiterverwendet werden.
Dies gilt für:
- das Inverkehrbringen ab dem 24. Februar 2022 und für
- die Verwendung ab dem 24. August 2023.
Die Beschränkungsregelung gilt für die industrielle und gewerbliche Verwendung von Produkten, die Diisocyanate ab einer Konzentration von 0,1 Gewichts-Prozent (Gew.-%) enthalten (siehe Abbildung 2). Ausgenommen sind Produkte mit einem geringeren Gew.-%-Anteil.
Von der neuen Beschränkungsregelung sind alle Unternehmen entlang der Wertschöpfungskette betroffen – vom Hersteller, Importeur, Formulierer bis zum nachgeschalteten Anwender. Dazu gehören auch viele kleine, mittelständische und große Unternehmen der BG ETEM im Bereich der
- Elektronik und Elektrotechnik,
- Energieversorgung,
- Druckerei, Buchbinderei,
- Schuhherstellung und -reparatur,
- Orthopädietechnik,
- Fahrzeuginnenausstattung,
- Polstermöbel-Herstellung und
- Kunststoff-Formteile-Herstellung.
Diisocyanate werden unter anderem zur Herstellung von Klebstoffen, Schäumen, Lacken und Vergussmassen verwendet (siehe Kasten).
Anwendung von Diisocyanaten in Branchen der BG ETEM
- Klebstoffe
- Vergussmassen (Elektronik und Elektrotechnik, Energieversorgung)
- Dämm-, Montage- und Dichtungsschäume (Baustellen)
- Oberflächenbeschichtungen, Lacke
- Verpackungsschäume
- Schaumformteile (Orthopädietechnik)
Geforderte Maßnahmen
Neben technischen und organisatorischen Schutzmaßnahmen ist die Teilnahme an Schulungen (persönliche Schutzmaßnahmen) ein wichtiger Bestandteil des geforderten Schutzniveaus. Die Schulungen sollen das Bewusstsein für das Gefährdungspotenzial von Diisocyanaten schärfen und das individuelle Verhalten der Beschäftigten beeinflussen. Die Lieferanten müssen den Verwendern die geforderten Schulungsmaterialien zur Verfügung stellen. Die Schulungen können als eLearning stattfinden und sollen in verschiedenen Sprachen angeboten werden. Auch die Entwicklung einer App ist geplant. Die Schulungen schließen mit einer Prüfung ab, nach deren erfolgreicher Teilnahme die Beschäftigten zur Bestätigung ein Zertifikat erhalten. Die erfolgreich bestandene Prüfung muss dokumentiert werden.
Alternativ können die Schulungen auch von einer nach der Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) fachkundigen Person aus dem Arbeitsschutz, wie z. B. der Sicherheitsfachkraft oder der Betriebsärztin/dem Betriebsarzt, durchgeführt werden, die ihre Kenntnisse im Rahmen einer entsprechenden Ausbildung erlangt hat. Die Schulungen sind mindestens alle fünf Jahre zu wiederholen.
Für die Bereitstellung der Schulungsmaterialien arbeiten bereits Vertreter der Herstellerverbände (ISOPA / ALIPA) mit anderen Branchenverbänden an einer Online-Plattform, die im Jahr 2021 zur Verfügung stehen soll.
Schulungsanforderungen nach Gefährdungspotenzial und Verwendung
Der Umfang der Schulungen, die Unternehmen vornehmen müssen, richtet sich nach dem Gefährdungspotenzial am Arbeitsplatz. Für die Gefährdungsbeurteilung können als Informationsquellen
- die TRBA/TRGS 406
- die TRGS 430 und
- der Katalog der Expositionsszenarien als Ergänzung zur TRGS 430
- die DGUV Information 213-731
- die DGUV Information 213-715
- die DGUV Information 213-078
herangezogen werden (siehe „info“). Der Katalog enthält für verschiedene Arbeitsplätze die zu erwartende Expositionssituation.
Je nach Verwendung wird, in Abhängigkeit vom Gefährdungspotenzial, zwischen drei Schulungsstufen unterschieden (siehe Kasten).
Schulungsmaßnahmen in Abhängigkeit vom Gefährdungspotenzial
- Stufe 1: allgemeine Schulung bei geringem Gefährdungspotenzial
- Stufe 2: Aufbauschulung bei mittlerem Gefährdungspotenzial
- Stufe 3: Fortgeschrittenenschulung bei hohem Gefährdungspotenzial
Für die nachfolgenden Verwendungen in der Tabelle 1 werden die Schulungen Pflicht:
Verwendungen von Diisocyanaten, die Schulungen der Stufe 1 erfordern. | Verwendungen von Diisocyanaten, die Schulungen der Stufen 1 und 2 erfordern. | Verwendungen von Diisocyanaten, die Schulungen der Stufen 1, 2 und 3 erfordern. |
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Schulungsinhalte für Verwendungen von Produkten mit einem Anteil von mindestens 0,1 Gew.-% Diisocyanat
In der neuen Beschränkungsregelung werden Vorgaben zu den Schulungsinhalten für den Arbeitsschutz gemacht, um die Exposition am Arbeitsplatz durch Hautkontakt und Einatmen zu minimieren. Neben der Handhabung der Produkte und der sachgemäßen Anwendung persönlicher Schutzausrüstungen werden die Besonderheiten der gelieferten Produkte, einschließlich der Zusammensetzung und der Verpackung, berücksichtigt.
In der nachfolgenden Tabelle 2 sind wesentliche Inhalte der Schulungen dargestellt.
Stufe 1 allgemeine Schulung zu: |
Stufe 2 Aufbauschulung zu: |
Stufe 3 Fortgeschrittenenschulung zu: |
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Die Angaben zu den Maßnahmen sind Mindestanforderungen, die in vielen Betrieben der BG ETEM jetzt schon umgesetzt werden. Die Prüfung der Wirksamkeit der umgesetzten Maßnahmen ist bereits im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung gängige Praxis. Neu sind nur die zusätzlichen Schulungen, die regelmäßig durchgeführt werden müssen. Die Aufgabe des Unternehmens ist, sich von der erfolgreichen Umsetzung der Schulungsinhalte durch die Beschäftigten zu überzeugen. Die Gefährdungsbeurteilung und die Ergebnisse der Wirksamkeitsprüfung sind zu dokumentieren.
Fazit
Das Ziel der neuen REACH-Beschränkungsregelung ist einerseits, den Betrieben unter bestimmten Voraussetzungen sowohl den Verkauf als auch die weitere Verwendung von diisocyanathaltigen Produkten zu ermöglichen.
Dr. Stefanie Labs
→ info
- Verordnung (EU) 2020/1149 der Kommission vom 3. August 2020 zur Änderung von Anhang XVII der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH) hinsichtlich Diisocyanaten (Text von Bedeutung für den EWR): eur-lex.europa.eu
- Merkblatt zu der Berufskrankheit Nr. 1315 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) „Erkrankungen durch Isocyanate, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können“: www.baua.de
- Merkblatt zur Berufskrankheit Nr. 5101: „Schwere oder wiederholt rückfällige Hauterkrankungen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können“: www.baua.de
- DGUV Empfehlung für arbeitsmedizinische Beratungen und Untersuchungen „Isocyanate“: publikationen.dguv.de
- TRGS 402 „Ermitteln und Beurteilen der Gefährdungen bei Tätigkeiten mit Gefahrstoffen: Inhalative Exposition“: www.baua.de
- TRBA/TRGS 406 „Sensibilisierende Stoffe für die Atemwege“: www.baua.de
- TRGS 430 „Isocyanate – Gefährdungsbeurteilung und Schutzmaßnahmen“: www.baua.de
- Katalog der Expositionsszenarien zur TRGS 430: www.baua.de
- TRGS 900 „Arbeitsplatzgrenzwerte“: www.baua.de
- DGUV Information 213-731: Empfehlungen Gefährdungsermittlung der Unfallversicherungsträger (EGU) nach der Gefahrstoffverordnung – „Vergießen elektronischer Bauteile mit Vergussmassen, die Methylendiphenyldiisocyanat (MDI) enthalten“, verfahrens- und stoffspezifisches Kriterium (VSK) nach der TRGS 420: publikationen.dguv.de
- DGUV Information 213-715: Empfehlungen Gefährdungsermittlung der Unfallversicherungsträger (EGU) nach der Gefahrstoffverordnung – „Verwendung von reaktiven PUR-Schmelzklebstoffen bei der Verarbeitung von Holz, Papier und Leder“: publikationen.dguv.de
- DGUV Information 213-078 „Polyurethane Isocyanate“ (M 044): publikationen.dguv.de
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