Frau Dr. Stern, Astronautinnen und Astronauten haben einen etwas anderen Job als Beschäftigte in Elektrobetrieben, Druckereien oder in der Textil- und Energiebranche. Trotzdem: Was können Unternehmen bei sich umsetzen, was Sie auch im Astronautentraining anwenden?
Wenn man die Prinzipien der Vorbereitung von Astronautinnen und Astronauten mal herunterbricht, eine ganze Menge: Zum Beispiel ist die sehr ausführliche Analyse von Risiken essenziell, um die Sicherheit zu verbessern. Potenzielle Gefahrenszenarien zu durchdenken und das richtige Verhalten in Notfällen einzuüben, ist ebenfalls wichtig.
Das Gleiche gilt für Teambuilding-Maßnahmen und die Kommunikation im Betrieb: Reden und sich aufeinander einstellen hilft, das gilt im Weltraum genauso wie auf der Erde. Nicht zuletzt sollten Unternehmerinnen und Unternehmer Kritik und Anregungen ihrer Beschäftigten ernst nehmen und darauf reagieren – nicht nur, wenn es um die Anschaffung von Persönlicher Schutzausrüstung geht.
Es kann übrigens auch sinnvoll sein, mal Menschen einzuladen, die einen schweren Arbeitsunfall oder einen bedrohlichen Zwischenfall überstanden haben und davon berichten. Auch daraus lässt sich einiges lernen, was der Sicherheit aller zugutekommt.
Was tut Ihr Institut für den Arbeitsschutz im All?
Bei unserer Arbeit steht der Gesundheitsschutz im Fokus. Ganz konkrete Arbeitsschutzmaßnahmen entwickeln eher die einzelnen Raumfahrtgesellschaften, individuell an die jeweiligen Missionen angepasst. Aber bekanntermaßen sind die medizinische und psychische Gesundheit wichtige Bestandteile des Arbeitsschutzes – ganz einfach, weil sie Menschen robuster machen, ihre Risikowahrnehmung schärfen und ihre Leistungsfähigkeit stärken.
Ich muss dazu sagen: Bei uns geht es nicht nur um Astronautinnen und Astronauten. Unser Institut konzentriert sich auf medizinische und psychologische Herausforderungen für alle Personen, die direkt oder indirekt mit der Luft- und Raumfahrt oder dem Verkehr zu tun haben, also auch Pilotinnen und Piloten, Fluglotsinnen und Fluglotsen oder Personen, die beruflich tauchen. Für sie alle gilt: Wenn sie körperlich und im Kopf fit sind, ist schon viel für ihre Sicherheit getan.
Wir forschen, um die medizinische und psychische Gesundheit und Leistungsfähigkeit des Menschen im Weltraum, in der Luftfahrt und auf der Erde zu erhalten. Dieses Wissen fließt auch in das Training von Astronautinnen und Astronauten ein, an dem das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) wesentlich beteiligt ist.
Was bedeutet das konkret?
Wir analysieren einerseits, welche Anforderungen das Training eigentlich erfüllen muss – je nachdem, welche Aufgaben die Astronautinnen und Astronauten im Weltraum haben werden. Auf dieser Basis sind wir in die Entwicklung von Trainingsplänen und -materialien involviert. Und nicht zuletzt finden große Teile der Vorbereitung dann nebenan im Trainingszentrum des Europäischen Astronautenzentrums statt.
Welche Rolle spielt dabei das Thema Sicherheit?
Eine ganz große Rolle. Klar, denn Astronautinnen und Astronauten sind ständig Risiken verschiedenster Art ausgesetzt. Sie arbeiten ja in einer eigentlich lebensfeindlichen Umgebung. Die größte Gefahr ist immer, dass eine schützende Außenhülle kaputtgeht – also der Raumanzug, die Raumstation oder der Raumtransporter, wie zum Beispiel das Shuttle, mit dem sie zur Raumstation reisen. Raumfahrzeuge sind die gefährlichsten Transportmittel überhaupt.
An Bord eines Raumschiffs können außerdem auch ganz profane Dinge bedrohlich sein, etwa in der Schwerelosigkeit herumschwebende Partikel, die wortwörtlich ins Auge gehen können. Im All gibt es Strahlenbelastung, der Körper baut in der Schwerelosigkeit Muskeln ab. Dazu kommt die hohe psychische Belastung, die mit einer Raummission einhergeht.
Deshalb wird in der Vorbereitung eine Risikomatrix für alles erstellt, was passieren kann, und mögliche Notfälle werden geprobt. Das ähnelt durchaus einer klassischen Gefährdungsbeurteilung, wie jeder Betrieb sie regelmäßig durchführen muss. Letztlich muss alles funktionieren, damit alle an Bord gesund bleiben: Kopf und Körper der einzelnen Astronautinnen und Astronauten ebenso wie die Technik und die Kommunikation im Team. Deshalb ist das Training sehr umfassend und dauert teilweise Jahre.
Haben Sie ein Beispiel für Risiken, die sich mittels Ihrer Forschung reduzieren lassen?
Nehmen wir mal den Verlust von Knochen- und Muskelmasse: In Schwerelosigkeit führt die Entlastung von Muskeln und Knochen schnell zu einem Gewebeabbau. Das ist ein Risiko für Langzeitmissionen. Deshalb führen wir unter anderem die relativ bekannten Bettruhe-Studien durch: Damit konnten wir die Wirksamkeit bestimmter Trainingsprogramme nachweisen, die Astronautinnen und Astronauten im All absolvieren können. Hundertprozentig effektiv ist das Training auf der Raumstation allerdings noch nicht.