„Das ist noch nicht so hoch – da passiert mir nichts!“ Von derartigen Gedanken sollten sich Unternehmen und Versicherte lösen. Zahlreiche Unfälle belegen, dass bereits bei geringen Absturzhöhen selbst tödliche Verletzungen zu befürchten sind. In der BG ETEM-Statistik der Unfälle mit schwersten und tödlichen Verletzungsfolgen kommen Absturzunfälle an zweiter Stelle, direkt nach den Wegeunfällen.
Gründe für Abstürze gibt es viele. So sind viele Dächer gefährlich geneigt, auf Flachdächern wiederum führen Nässe, Schnee und Eis sowie Verschmutzungen zu Absturzgefährdungen. Kabelkanäle, Rohrleitungen oder Blitzschutzeinrichtungen sind Stolperfallen. Und an Dachkanten kann jeder Fehltritt unmittelbar zum Absturz führen.
Bei all diesen absturzfördernden Randbedingungen müssen sich die Beschäftigten gleichzeitig auf ihre Arbeit konzentrieren. Es wird deutlich, dass Arbeiten auf Dächern generell nur mit Maßnahmen zum Schutz gegen Absturz durchzuführen sind, die eine hohe Zuverlässigkeit bei einem vertretbaren Mitwirkungsaufwand der Beschäftigten gewährleisten.
Sichere Verkehrswege auf Dächern sowie Auflegeleitern auf geneigten Dächern allein schützen nicht vor Abstürzen. Deshalb sind im Rahmen von Arbeiten auf Dächern umfassende und wirkungsvolle Schutzmaßnahmen ab einer Absturzhöhe von mehr als zwei Metern zu ergreifen.
Gründe für Arbeiten auf Dächern
Instandsetzungsarbeiten nach Dachschäden, Umbaumaßnahmen, aber auch Wartungsarbeiten an Dachfenstern, Lichtkuppeln oder Rauchgasabzugsklappen gehören zu den wesentlichen Dacharbeiten, die es losgelöst von Dacherrichtungen und großflächigen Dachsanierungen zu betrachten gilt.
Bei den Mitgliedsbetrieben der BG ETEM stehen Arbeiten an elektrischen Betriebsmitteln auf Dächern im Vordergrund. Das Unfallgeschehen wird dabei wesentlich von Absturzunfällen und von Durchstürzen durch nicht tragfähige Dachflächen geprägt. Leider sind auch bei den aktuell wieder verstärkt durchgeführten Arbeiten zur Errichtung von Photovoltaikanlagen vermehrt Ab- und Durchsturzunfälle zu verzeichnen.
Prioritätenliste für Schutzmaßnahmen
Zu bevorzugen sind bauliche Einrichtungen zum Schutz gegen Absturz auf Dächern. Doch vielerorts sind sie nicht vorhanden. Existieren bei Gebäuden mit Flachdächern häufig Mauern, Attiken, Brüstungen oder Geländer, sind vergleichbare Einrichtungen auf geneigten Dächern nur in Ausnahmefällen zu finden. Auch Anschlageinrichtungen, die eine qualifizierte Verwendung Persönlicher Schutzausrüstungen gegen Absturz (PSAgA) ermöglichen, sind die Ausnahme.
Sowohl die Musterbauordnung sowie die Bauordnungen der Länder beinhalten keine unmittelbaren Anforderungen an die Gestaltung von Dächern zum Schutz gegen Absturz. So ist die Anforderung der Musterbauordnung „Für vom Dach aus vorzunehmende Arbeiten sind sicher benutzbare Vorrichtungen anzubringen.“ kaum geeignet, im Rahmen zukünftiger Bauvorhaben bauliche Einrichtungen zum Schutz gegen Absturz einzufordern. Gleichzeitig bleibt offen, ob unter„sicher benutzbare Vorrichtungen …“ gegebenenfalls Anschlageinrichtungen zu verstehen sind.
Es gibt jedoch alternative Schutzkonzepte, um Arbeiten auf Dächern sich durchzuführen. Hierbei besteht nicht eine beliebige Auswahlmöglichkeit für die im Einzelfall als sympathisch erscheinende Lösung. Vielmehr unterliegt die Entscheidung für die Anwendung eines Schutzkonzepts einer Prioritätenliste, die unter anderem in Abhängigkeit der örtlichen und baulichen Gegebenheiten das zulässige Schutzkonzept für den jeweiligen Einzelfall vorgibt.
Die folgende Grafik zeigt eine Übersicht unterschiedlicher bewährter Schutzkonzepte beziehungsweise Maßnahmen bei Arbeiten auf Dächern.
Hubarbeitsbühnen
Weist die jeweilige Dachfläche keine baulichen Einrichtungen zum Schutz gegen Absturz auf, empfiehlt es sich, den Einsatz von Hubarbeitsbühnen in Betracht zu ziehen. Auch wenn Hubarbeitsbühnen nicht für alle Dacharbeiten einsetzbar sind, können aus dem Arbeitskorb heraus zum Beispiel zeitlich befristete Arbeiten an Dachkanten oder Ortgängen ohne Begehungen der Dachfläche sicher und mit überschaubarem Zeitaufwand durchgeführt werden. Voraussetzung ist die qualifizierte Aufstellung der Bühne.
Arbeits- und Schutzgerüste
Sind Hubarbeitsbühnen zum Beispiel wegen nicht ausreichend tragfähiger Aufstellflächen nicht nutzbar, kommen Arbeits- und Schutzgerüste infrage. Ordnungsgemäß errichtet und sachgerecht genutzt ermöglichen sie einen sicheren Zugang zur Dachfläche, erleichtern den Transport von Arbeitsmaterialien und Werkzeugen und schützen gegen Absturz an Dachkanten.
Aufbau und Gebrauch von Gerüsten
Gerüste sind durch fachlich geeignete Beschäftigte eines Gerüsterstellers zu errichten und vor der Übergabe an die späteren Nutzer von einer zur Prüfung befähigten Person auf ihren ordnungsgemäßen Aufbau und Zustand zu prüfen. Im Anschluss ist das Gerüst mit einer Gerüstkennzeichnung zu versehen.
Das Gerüst kann auch von dem mit den Dacharbeiten beauftragten Unternehmen errichtet werden, sofern dieses über die entsprechend qualifizierten Beschäftigten verfügt. Dacharbeiten ausführende Unternehmen verfügen in der Regel über keine eigene Gerüstbaugruppe – hier ist eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit einem Gerüstbauunternehmen erforderlich.
Diese auf der Betriebssicherheitsverordnung basierenden Anforderungen verpflichten in einem zweiten Schritt auch den Gerüstnutzer, also hier das Dacharbeiten ausführende Unternehmen. Der Gerüstnutzer kann sich daher nicht ausschließlich auf die kompetente Leistung des beauftragten Gerüsterstellers verlassen – ergänzend hat er das Gerüst nach der Übergabe durch eine von ihm beauftragte Person mit der Inaugenscheinnahme und Funktionskontrolle des Gerüsts zu beauftragen. Neben den wesentlichen Aspekten zum Schutz gegen Absturz ist in diesem Zusammenhang die Eignung des errichteten Gerüsts für die anstehenden Arbeiten zu bewerten.
Einsatz von PSAgA
Unter Umständen lassen örtliche Gegebenheiten, wie unmittelbar an Gebäuden angrenzende Straßen oder steile Geländeverläufe, den Aufbau eines Gerüsts nicht oder nur mit sehr hohem Aufwand zu. Darüber hinaus stellt sich insbesondere bei Arbeiten mit geringem Arbeitsumfang die Frage nach der Verhältnismäßigkeit einer Gerüsterrichtung. Das gilt zum Beispiel für Wartungsarbeiten an Antennen oder Dachständern. Bis zu einem Arbeitsumfang von maximal zwei Personentagen kann in der Regel auf den Aufbau eines Gerüsts verzichtet werden, sofern der Schutz gegen Absturz durch den kompetenten Einsatz von PSAgA gewährleistet ist.
Der Einsatz von PSAgA zur Durchführung kurzfristiger Arbeiten auf Dächern hat sich in der Vergangenheit bewährt. Damit die Maßnahmen wirken, sind folgende Voraussetzungen zu schaffen:
- Die Beschäftigten sind in der Verwendung der PSAgA geschult und unterwiesen.
- Zum PSAgA-Einsatz für Dacharbeiten liegt eine generelle sowie eine ergänzende baustellenspezifische Gefährdungsbeurteilung vor.
- Die Unternehmen stellen die erforderlichen PSAgA-Komponenten für jeden einzelnen Beschäftigten zur Verfügung.
- Die PSAgA ist regelmäßig, mindestens jedoch alle zwölf Monate auf ihren sicheren Zustand zu prüfen. Die Prüfergebnisse sind zu dokumentieren.
- Vor Beginn der Dacharbeiten ist vom Arbeitsverantwortlichen festzulegen, welche Anschlagpunkte für den Einsatz der PSAgA zu benutzen oder zu errichten sind.
- Es ist sicherzustellen, dass sich die Beschäftigten bei der Verwendung von PSAgA gegenseitig nicht behindern oder gefährden.
Anschlageinrichtungen
Eine Voraussetzung für die Nutzung von PSAgA sind Anschlageinrichtungen. Leider sind sie auf wenigen Dächern fest verbaut, sodass sie für die jeweiligen Arbeiten installiert werden müssen.
Einzelne Anschlagpunkte auf Dachflächen ermöglichen die Sicherung gegen Absturz nur in einem kleinen Bewegungsbereich. Bewegt sich die Person in seitlicher Richtung unterhalb des Anschlagpunktes, besteht durch die Schlaffseilbildung unmittelbare Absturzgefahr. Eine ähnliche Situation liegt auf Flachdächern vor. Seitliche Bewegungen an der Dachkante führen auch hier zur Schlaffseilbildung mit der unmittelbaren Gefahr eines Absturzes.
Daher empfehlen sich feste Führungen auf Flachdächern – zum Beispiel Schienensysteme oder Drahtseilführungen –, die mit mitlaufenden Auffanggeräten nahezu uneingeschränkte Bewegungsspielräume auch entlang möglicher Absturzkanten eröffnen.
Die Vielzahl unterschiedlicher fester Führungen kommt auf geneigten Dächern leider nur selten zum Einsatz. Insbesondere mit dem Dachfirst verbundene oder in ihn integrierte Führungen bieten zahlreiche Möglichkeiten, auch Satteldächer ganzflächig mit einem hohen Schutz gegen Absturz zu begehen.
Dachspiralen
Dachspiralen sind eine ebenfalls attraktive, aber bislang in Deutschland nicht verbreitete Möglichkeit. Sie lassen sich in Kombination mit unterschiedlichen Dacheindeckungen verbauen sowie nachträglich installieren.
Schutz gegen Absturz wird durch Verwendung von Dachspiralen wie folgt erreicht:
- Der oder die Beschäftigte trägt einen Auffanggurt und befestigt an der brustseitigen Auffangöse ein mitlaufendes Auffanggerät.
- An den Werkzeugösen des Auffanggurtes wird eine Tasche mit einem Sicherungsseil in der für die anstehenden Dacharbeiten erforderlichen Länge befestigt.
- Das Sicherungsseil wird über den fest verbundenen Karabinerhaken mit einem Anschlagpunkt auf der Dachinnenseite oder in Reichweite des Dachausstiegs befestigt.
- Der oder die Beschäftigte verbindet das mitlaufende Auffanggerät mit dem Sicherungsseil und steigt auf die Dachfläche.
- In Reichweite der Ausstiegsstelle befindet sich die erste Dachspirale, in deren gewendeltes Ende das Sicherungsseil eingefädelt wird.
- Beim Einfädelvorgang befindet sich das mitlaufende Auffanggerät stets oberhalb der jeweiligen Dachspirale.
- Der oder die Beschäftigte steigt zur nächsten Dachspirale weiter und wiederholt den Vorgang.
- Im Idealfall führen mehrere Dachspiralen direkt in die Nähe des Dachfirsts und werden danach in horizontaler Ausrichtung zum Dachfirst installiert. Diese Anordnung der Dachspiralen ermöglicht den Zugang zu beliebigen Dachbereichen.
Die Anwendung von Dachspiralen und anderen Systemen setzt die Begehbarkeit der Dachfläche voraus. Stärker geneigte Dachflächen sind in der Regel nicht ohne zusätzliche Hilfsmittel begehbar. Bewährt hat sich der Einsatz von Dachauflegeleitern, die in Dach- und Sicherheitsdachhaken oder an geeigneten Masten eingehängt werden können. Die nach oben gewölbten Sprossen verbessern die Trittsicherheit.
Arbeiten auf Flachdächern
Wird die Dachfläche von qualifiziertem Fachpersonal betreten, sind Maßnahmen zum Schutz gegen Absturz nicht zu ergreifen. Voraussetzung: Die zu begehenden Zugangswege/Arbeitsbereiche sind gekennzeichnet und haben einen Mindestabstand von mehr als zwei Metern zu Absturzkanten.
Ist der erforderliche Sicherheitsabstand nicht einzuhalten, sind Absperrungen oder temporäre Seitenschutzsysteme zu errichten. Auch feste Führungen mit mitlaufenden Auffanggeräten können genutzt werden. Einzelne Anschlagpunkte eignen sich zum Schutz gegen Absturz nur, wenn ein sicherer Zugangsweg existiert und durchzuführende Arbeiten unter Verwendung von PSAgA von diesem Punkt aus durchführbar sind.
Auf die Gefährdungen an Lichtkuppeln, die mit ihren teiltransparenten Hauben oft eine falsche Sicherheit suggerieren, sei besonders hingewiesen. Lichtkuppeln sind generell nicht durchsturzsicher. Auf ihnen angebrachte Aufkleber „Durchsturzsicher beim Einbau“ beziehen sich nur auf die Bauphase. Bei Dacharbeiten auf bestehenden Einrichtungen sollten Beschäftigte sich also nicht darauf verlassen.
Auch an anderen Öffnungen wie zum Beispiel Rauchgasklappen bestehen Absturzgefahren. Zu allen Dachöffnungen oder Lichtkuppeln ist daher im Rahmen von Dacharbeiten ein Sicherheitsabstand einzuhalten. Dazu sind Absperrungen oder Seitenschutzeinrichtungen zu errichten.
Fazit
Dacharbeiten sind grundsätzlich mit Gefährdungen durch Absturz verbunden. Die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz gegen Absturz haben Unternehmer auf Basis ihrer Gefährdungsbeurteilung und unter Berücksichtigung der Gegebenheiten im Einzelfall festzulegen. Weisen Dächer keine baulichen Einrichtungen zum Schutz gegen Absturz auf, und sind Arbeiten auf Flachdächern außerhalb der erforderlichen Sicherheitsabstände zu Absturzkanten durchzuführen, sind immer Schutzmaßnahmen zu ergreifen.
Vorrangig gilt es, Arbeits- und Schutzgerüste einzusetzen. Stellt sich der Gerüsteinsatz mit Blick auf den Arbeitsumfang als unverhältnismäßig dar und Arbeiten können nicht mit Hubarbeitsbühnen durchgeführt werden, kann der erforderliche Schutz gegen Absturz mit dem kompetenten Einsatz von PSAgA realisiert werden.
Dr. Reinhard Lux
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Seminare zum Thema finden Sie über die Seminardatenbank der BG ETEM: www.bgetem.de, Webcode 21788705
Zu den Seminaren gelangen Sie, wenn Sie die Veranstaltungsnummer in die Suchmaske eingeben.
- „Sicheres Arbeiten an elektrischen Betriebsmitteln auf Dächern“ (Veranstaltungs-Nr. 182, Bildungsstätte in Dresden)
- „Elektrische Gefährdungen beim Errichten und Betreiben von Photovoltaikanlagen“ (Veranstaltungs-Nr. 175, Bildungsstätte in Dresden)
- „Sicherer Umgang mit Gerüsten“ (Veranstaltungs-Nr. 102, Bildungsstätte Linowsee)
Lesen Sie zum Thema Arbeiten auf Dächern in dieser Ausgabe auch den Beitrag: „In luftiger Höhe“
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