Im Zuge der Energiewende werden neue Technologien entwickelt, die auch für den Arbeitsschutz neue Fragestellungen aufwerfen. Ein Beispiel ist die Power-to-Gas-Technologie, wo überschüssiger Strom aus erneuerbaren Energien durch Elektrolyse von Wasser in Wasserstoff umgewandelt werden kann. Dieser Wasserstoff kann als „chemischer Energiespeicher“ dienen und rückverstromt oder in das Erdgasnetz eingespeist werden (siehe Abbildung oben). Geplant ist eine Beimischung von Wasserstoff zum Erdgas bis zu 20 Vol.-% (Mol-%).
Im Rahmen eines Forschungsvorhabens wurden die Auswirkungen von Wasserstoffzusätzen zum Erdgas für den Konzentrationsbereich bis 10 Vol.-% im Hinblick auf den Explosionsschutz untersucht. Dabei wurden auch die sicherheitstechnischen Kenngrößen für Erdgas-Wasserstoff-Gemische bestimmt.
Leider sind in der wissenschaftlichen Literatur eine Vielzahl von Verfahren und experimentellen Aufbauten zur Bestimmung von Sicherheitstechnischen Kenngrößen (STK) und entsprechend unterschiedliche Werte für dieselben Gase und Gasgemische zu finden. Deshalb sollten im Vorhaben die sicherheitstechnischen Kenngrößen nach den harmonisierten europäischen Normen (soweit vorhanden) im Rahmen der Atmosphere Explosive (ATEX)-Richtlinien bestimmt werden.
Von besonderem Interesse waren diejenigen Kenngrößen, die für reines Methan (Erdgas) und Wasserstoff deutliche Unterschiede aufweisen. Bei zahlreichen Netzbetreibern werden solche Power-to-Gas-Anlagen bereits im technischen Maßstab betrieben. Der Betreiber muss hierfür ein Explosionsschutzkonzept erstellen, für das er verlässliche Aussagen zu den sicherheitstechnischen Kenngrößen benötigt.
Projektbeteiligte des Forschungsvorhabens waren
- die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM),
- die DBI Gas- und Umwelttechnik GmbH (DBI-GUT) und
- die Berufsgenossenschaft Energie Textil Elektro Medienerzeugnisse (BG ETEM).
Im Rahmen der Untersuchungen wurden folgende Kenngrößen für Erdgas-Wasserstoff-Gemische bestimmt:
- Explosionsgrenzen und Sauerstoffgrenzkonzentrationen (auch für Biogas),
- Explosionsdrücke und KG-Werte,
- Normspaltweiten und Explosionsgruppe.
Zudem wurden die Gasausbreitung an Abblase- und Entspannungsleitungen und der Einfluss von Wasserstoffbeimischungen auf Gaswarngeräte betrachtet.
Ergebnisse
Für die Messungen wurden zwei Modellgase eingesetzt: reines Methan und ein Modell-Erdgas mit Anteilen höherer Kohlenwasserstoffe. Sie repräsentieren die Bandbreite der in Deutschland eingesetzten Erdgase.
Die Untersuchungen ergaben, dass bei einem Zusatz von bis zu 10 Vol.-% Wasserstoff keine der untersuchten Kenngrößen signifikant beeinflusst wird. Die Gemische haben nur geringfügig erweiterte Explosionsbereiche. Bei einem Zusatz von 25 Vol.-% Wasserstoff erreicht die obere Explosionsgrenze einen Wert von 21 Vol.-%. Insbesondere die im Explosionsschutz wichtige untere Explosionsgrenze sowie die Sauerstoffgrenzkonzentration bleiben bei Wasserstoffzusätzen von bis zu 10 Vol.-% nahezu gleich.
Auch die maximalen Explosionsdrücke und die zeitlichen Druckanstiege bei den Gasexplosionen ändern sich nur wenig. Die zur Festlegung der Explosionsgruppe des Gasgemisches herangezogene Normspaltweite wird zwar durch den Wasserstoffzusatz annähernd linear beeinflusst. Das Gemisch bleibt jedoch, wie die reinen Erdgase, in der Explosionsgruppe IIA. Damit entstehen beim Zusatz von 10 Vol.-% Wasserstoff keine erhöhten Anforderungen an Geräte für den Einsatz in den explosionsgefährdeten Bereichen. Zur Grenze zwischen der Explosionsgruppe IIA und IIB findet sich in der DIN EN/IEC 80079-20-1 für den Übergangsbereich zwischen 25 und 30 Vol.-% H2 der Hinweis, dass die Explosionsgruppe IIB bereits ab 25 Vol.-% Wasserstoff im Gemisch auszuwählen ist.
Gemische aus Methan und Kohlendioxid, wie sie in Biogasanlagen vorkommen können, zeigen bei Wasserstoffzusatz aber etwas größere Veränderungen an der oberen Explosionsgrenze (OEG) und bei der Sauerstoffgrenzkonzentration.
Vergleichende Berechnungen zur Festlegung von explosionsgefährdeten Bereichen (Ex-Zonen) auf Basis von Gasausbreitungsberechnungen ergaben ebenfalls nur geringfügige Unterschiede für Erdgas und Erdgas-Wasserstoff-Gemische mit bis zu 10 Vol.-% Wasserstoff, die im Rahmen der Fehlertoleranz liegen. Beim Vergleich der Berechnungsverfahren wurde das Freistrahlmodell nach Schatzmann (BAM) betrachtet sowie das laut Deutscher Verein des Gas- und Wasserfaches e.V. (DVGW) G 442 für Gasanlagen angewendete Berechnungsmodell zur Gasausbreitung, das unter anderem die zu erwartenden Massenströme, die Gaseigenschaften und die Explosionsgrenzen in Luft berücksichtigt. Für den Anwender stellt der DVGW auch das Online-Berechnungstool „e.BEx™“ zur Verfügung.
Der Einsatz von Gaswarngeräten, die für Erdgas kalibriert wurden, ist für Erdgas-Wasserstoff-Gemische mit bis zu 10 Vol.-% Wasserstoff möglich, erfordert aber eine gesonderte Sicherheitsbewertung. Liegt als Zielgas, das gemessen werden soll, ein bekanntes Gasgemisch vor, so ist dieses in der Regel als Prüfgas für die Kalibrierung/Justierung zu benutzen. Hierfür ist die Kenntnis der unteren Explosionsgrenze des Gasgemisches erforderlich.
Da bei Wasserstoffeinspeisung in das Gasnetz die wahre Zusammensetzung des Gasgemisches nicht bekannt ist – Methan- und Wasserstoffanteil können innerhalb einer vorgegebenen Bandbreite variieren –, ist eine Kalibrierung/Justierung der Gaswarngeräte (GWG) mit einem „Ersatzprüfgas“ durchzuführen. Als solches muss ein Prüfgas benutzt werden, das als Messkomponente genau das Brenngas des Gasgemisches enthält, das gegenüber dem Messprinzip der benutzten Gassensoren die geringste Empfindlichkeit bezogen auf den jeweiligen Wert der unteren Explosionsgrenze bezieht (Messsignal / % der unteren Explosionsgrenze – UEG).
Daraus ergibt sich, dass ein Methan-Luft-Gemisch als Ersatzprüfgas zu verwenden ist. Wärmetönungssensoren reagieren wie SnO2-Halbleitersensoren in der Regel gegenüber Wasserstoff empfindlicher als gegenüber Methan, sodass bei einer Methan-Justierung der GWG und anschließender Messung der in Rede stehenden Erdgas-Wasserstoff-Gemische etwas zu hohe Messwerte ermittelt werden.
Diese Messabweichung liegt aber auf der sicherheitstechnisch sicheren Seite. Beim Einsatz von IR-Sensoren ist der nicht erfasste Wasserstoffanteil durch ein Herabsetzen der Alarmschwellen zu kompensieren, nämlich um ca. 10 Prozent der festgelegten Alarmschwelle. Bei der Kalibrierung/Justierung von GWG sind in jedem Fall die Herstellerangaben, die Betriebsanleitung der GWG und die DGUV Information 213-057 zu berücksichtigen.
Dr. Albert Seemann (BG ETEM) *
Kenngröße |
Wasserstoff |
Methan |
---|---|---|
untere Explosionsgrenze (UEG) |
4,0 Vol.-% |
4,4 Vol.-% |
obere Explosionsgrenze (OEG) |
77,0 Vol.-% |
17,0 Vol.-% |
Sauerstoffgrenzkonzentration (LOC) |
4,3 Vol.-% |
9,9 Vol.-% |
Pmax |
8,3 bar |
8,1 bar |
KG |
800 bar m/s |
52 bar m/s |
Normspaltweite (MSEG) |
0,29 mm |
1,14 mm |
Mindestzündenergie (MIE) |
0,017 mJ |
0,23 mJ |
Zündtemperatur (MIT) |
560 °C |
595 °C |
Relative Dichte zu Luft |
0,0695 |
0,55 |
1Die sicherheitstechnischen Kenngrößen sind der Datenbank „CHEMSAFE©“, Update 2015, Herausgeber DECHEMA, BAM und PTB, entnommen. |
→ info
- Den vollständigen Bericht zum vorgestellten Forschungsvorhaben finden Sie unter: www.bgetem.de, Webcode 18901914
- Informationen der BG ETEM zu Brand- und Explosionsgefahren: www.bgetem.de, Webcode 18933505
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