Ermüdeter Autofahrer sitzt am Steuer, hat die Augen geschlossen und greift sich mit den Fingern an die Nasenwurzel.

Sekundenschlaf: Wer am Steuer einschläft, riskiert sein Leben – und das anderer.

„In einer leichten Linkskurve kam der Fahrer des Wagens aus bisher unbekannter Ursache nach rechts von der Straße ab und kollidierte im Verlauf ungebremst mit einem am Straßenrand stehenden Baum. Der hinzugezogene Notarzt konnte nur noch den Tod des Fahrers feststellen.“ So oder ähnlich heißt es oft in Polizeiberichten über Verkehrsunfälle mit tragischem Ausgang. Zurück bleiben Angehörige und Kollegen, die sich fragen, wie es zu dem Unfall kommen konnte. Eine mögliche Ursache: Übermüdung.

Risiko Müdigkeit

Experten gehen davon aus, dass bei 13 Prozent der Arbeitsunfälle und bei 15 bis 20 Prozent der Verkehrsunfälle Müdigkeit eine entscheidende Rolle spielt.
(Quelle: Uehli et al. 2014, Akerstedt 2000)

Nachlassende Aufmerksamkeit, schwere Augenlider, häufiges Gähnen: Den meisten Autofahrerinnen und -fahrern dürften diese Anzeichen bekannt vorkommen.

Um Fahrpausen zu vermeiden, wird das Radio lauter gedreht, das Fenster geöffnet oder auch Gespräche und Telefonate geführt.

Das hilft jedoch nicht gegen die immer stärker werdende Müdigkeit. Wer dennoch weiterfährt, riskiert die eigene Gesundheit und auch die anderer. Denn was umgangssprachlich als Sekundenschlaf verharmlost wird, endet nicht selten mit schwersten bis tödlichen Verletzungen. Ungebremst fahren die Betroffenen auf vorausfahrende Fahrzeuge auf. Oder sie kommen auf gerader Strecke von der Fahrspur ab und kollidieren mit entgegenkommenden Fahrzeugen bzw. Hindernissen am Straßenrand.

RiskBuster-Video Sekundenschlaf

 

Wie viele Verkehrsunfälle auf Müdigkeit zurückzuführen sind, lässt sich nur schwer beziffern. Zum einen wird das Einschlafen am Steuer von den Betroffenen – sofern sie den Unfall überlebt haben – nur selten als Ursache angegeben. Denn bei einem Eingeständnis drohen der Entzug der Fahrerlaubnis sowie Geld- und Haftstrafen. Gleichzeitig gibt es bei der Polizei derzeit keine verlässlichen Verfahren zur Beweisführung. Deshalb waren laut Statistik im Jahr 2018 nur 0,7 Prozent aller Verkehrsunfälle mit Personenschaden auf Übermüdung zurückzuführen (Statistisches Bundesamt 2019).

Grafik Diagramm Verkehrsunfälle aufgrund von Schläfrigkeit/Müdigkeit bei der BG ETEM 2014-2019 mit Pkw/Lkw nach Alter des Unfallverursachers, mehrfarbig nach Alter und Geschlecht aufgeschlüsselt.

Schwere* und tödliche Verkehrsunfälle aufgrund von Schläfrigkeit/Müdigkeit bei der BG ETEM 2014-2019 mit Pkw/Lkw nach Alter des Unfallverursachers (*stationäre Behandlung nach VAV/SAV notwendig).

Jeder 4. Verkehrsunfall wegen Müdigkeit oder Sekundenschlafs

Welche Relevanz Müdigkeit im Verkehrsunfallgeschehen tatsächlich hat, untersuchte die BG ETEM 2020 im Rahmen eines Projekts. Hierfür wurden die Unterlagen der BG zu schweren und tödlichen Wege- und Dienstwegeunfällen im Straßenverkehr (mit Pkw und Lkw) aus den Jahren 2014 bis 2019 auf Hinweise für Müdigkeit als Unfallursache unter die Lupe genommen. Das Ergebnis ist alarmierend: In 24,2 Prozent der Unfälle lagen Indizien dafür vor, dass der Fahrer eingeschlafen war. In weiteren 17,6 Prozent wurden Hinweise auf müdigkeitsbedingte Fahrfehler und Unaufmerksamkeit gefunden. Jeder dritte dieser Unfälle endete mit mindestens einem getöteten Insassen.

Fahrzeit = Arbeitszeit?

„Fahrzeiten, die Beschäftigte ohne festen oder gewöhnlichen Arbeitsort (Bauarbeiter, Handwerker, Servicetechniker, Außendienstmitarbeiter) zwischen ihrem Wohnort und dem Standort des ersten und des letzten Kunden des Tages zurücklegen, können als Arbeitszeit geltend gemacht werden.“

(Urteil des Europäischen Gerichtshofs, Az.: C-266/14)

Männer besonders betroffen

Wie in anderen Studien zeigte sich eine Häufung bei männlichen Fahrern (76,4 Prozent). Dies hängt mit der Versichertenstruktur der BG ETEM zusammen, aber auch mit der Tatsache, dass Männer durchschnittlich weitere Entfernungen zurücklegen und häufiger nachts fahren – womit das Risiko für müdigkeitsbedingte Verkehrsunfälle steigt.

Allerdings betrifft dieses Problem nicht alle Altersgruppen gleichermaßen. Insbesondere jüngere Fahrer zwischen 20 und 29 Jahren sowie Fahrzeugführer zwischen 50 und 59 Jahren fallen in der Statistik als Müdigkeitsopfer auf. Die Erklärung hierfür liegt vermutlich zum einen in Schlafmangel, der dem Freizeitverhalten junger Männer geschuldet ist. Bei älteren Fahrern sind die Ursachen eher in der gesundheitlichen Konstitution, eingenommenen Medikamenten sowie physischer Erschöpfung durch schwere körperliche Arbeit zu suchen.

Auch berufliche Belastungen spielen eine Rolle

Mögliche Unfallursachen lassen sich auch in der beruflichen Tätigkeit finden. Ein erhöhtes Risiko für müdigkeitsbedingte Verkehrsunfälle haben Beschäftigte mit langen Arbeitszeiten. So hatten fast 40 Prozent der Unfallverursacher bereits mehr als 8,5 Stunden gearbeitet, weitere sieben Prozent sogar über zehn Stunden. Problematisch ist dies vor allem, wenn zusätzlich längere An- und Abfahrtszeiten hinzukommen. Dies zeigte sich insbesondere bei Beschäftigten, die bei der Anreise zur Bau- oder Montagestelle verunglückten (gehäuft am Montag in den frühen Morgenstunden) sowie nach verrichteter Arbeit auf dem Heimweg. Aber auch die Uhrzeit, zu der gearbeitet wird, ist von Bedeutung. Jeder 10. Betroffene war zum Zeitpunkt des Unfalls in der Nachtschicht tätig (zum Beispiel Anlagenbediener, Montierer, Drucker oder auch Zusteller). Dabei stellte sich der Heimweg als besonders kritisch heraus. Durch Schicht- oder Nachtarbeit kommt es bei den Beschäftigten bekanntermaßen gehäuft zu Störungen des Schlaf-wach-Rhythmus, verbunden mit einer verkürzten Schlafdauer und Müdigkeit.

Gesicherte Unfallstelle: Rotes Warndreieck steht im Vordergrund, dahinter ein verbeulter Unfallwagen mit zwei Personen, eine sitzend, eine stehend.

Eine gesicherte Unfallstelle: Auf den ersten Blick kein ungewöhnliches Bild. Doch die Unfallursache könnte Übermüdung gewesen sein, zeigt eine Untersuchung der BG ETEM.

Müdigkeitsunfälle verhindern

Bisherige Präventionsmaßnahmen wendeten sich fast ausschließlich an den Fahrer selbst. Ziel war und ist es nach wie vor, ihn davon zu überzeugen, rechtzeitig Pausen einzulegen oder für einen Powernap (Kurzschlaf bis 20 Minuten) anzuhalten.

Wie die Untersuchung der BG ETEM gezeigt hat, scheint das allein aber nicht auszureichen, um müdigkeitsbedingte Verkehrsunfälle zu verhindern. Verbesserungen versprechen unter anderem technische Systeme in (gewerblich genutzten) Fahrzeugen, wie zum Beispiel aktiv eingreifende Notbrems- und Spurhalteassistenten. Allerdings sind die Ausstattungsquoten laut ADAC zumindest im Segment der Lkw bis 3,5 Tonnen (Transporter) aktuell noch verschwindend gering.

Weiteres Unfallvermeidungspotenzial liegt in der konsequenten Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes, optimierter Schichtplan- und Pausengestaltung sowie in Screenings der Beschäftigten auf Schlafstörungen und gesundheitliche Probleme.

 

Ina Papen

 

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