Die seit gut zwanzig Jahren in unveränderter Form vorliegende Unfallverhütungsvorschrift „Bauarbeiten“ ist zwischenzeitlich in die Jahre gekommen. Ein Novellierungsbedarf war allein mit Blick auf den voranschreitenden Stand der Technik und mit diversen mitgeltenden und aktualisierten Rechtsvorschriften und Regelwerken längst überfällig.
Auch wenn in den vergangenen Jahren wiederholt die Außerkraftsetzung der Vorschrift zur Diskussion stand, erhielt der Fachbereich Bauwesen der DGUV die Möglichkeit zu einer umfassenden Überarbeitung der berufsgenossenschaftlichen Vorschrift, die zwischenzeitlich als Musterunfallverhütungsvorschrift von der Mitgliederversammlung der DGUV am 11. November 2019 beschlossen und seitens des Bundessozialministeriums (BMAS) genehmigt wurde. Die Vertreterversammlung der BG ETEM hat die Vorschrift im Dezember 2020 in Kraft gesetzt – ihre Veröffentlichung ist für Anfang 2021 zu erwarten.
Die überarbeitete DGUV Vorschrift wurde insbesondere an das staatliche Vorschriften- und Regelwerk angepasst. Bußgeldbewehrte Regelungen wurden auf die wesentlichen baustellenspezifischen Verstöße beschränkt. Die Unfallverhütungsvorschrift (UVV) enthält insbesondere bußgeldbewehrte Regelungen zu Leitung und Aufsicht auf Baustellen, Standsicherheit und Tragfähigkeit baulicher Anlagen, Maßnahmen zum Schutz gegen Absturz sowie bauspezifische Vorgaben für Verkehrswege, Arbeitsplätze und -verfahren.
Nachfolgend stellen wir Ihnen die Konzeption der neuen DGUV Vorschrift 38 Bauarbeiten und ausgewählte inhaltliche Schwerpunkte vor.
Für wen gilt die Vorschrift?
Erfasste die bisherige Unfallverhütungsvorschrift (UVV) in ihrem Geltungsbereich Bauarbeiten, ausgenommen spezieller branchenspezifischer Arbeiten, adressiert die neue Vorschrift ergänzend alle vom Regelungsumfang betroffenen Unternehmens- und Personengruppen. Die UVV gilt somit für Unternehmer und Versicherte und auch
- für Unternehmer und Beschäftigte von ausländischen Unternehmen, die eine Tätigkeit im Inland ausüben, ohne einem Unfallversicherungsträger anzugehören,
- soweit in dem oder für das Unternehmen Versicherte tätig werden, für die ein anderer Unfallversicherungsträger zuständig ist,
- für Solo-Selbstständige (Unternehmer ohne Beschäftigte) und für Bauherren, die in Eigenarbeit nicht gewerbsmäßige Bauarbeiten ausführen, gegenüber ihren Bauhelfern.
Geltungsbereich der Vorschrift
Mit der Festlegung der Begriffe „Bauarbeiten“ und „Bauliche Anlagen“ in den Begriffsbestimmungen der neuen UVV erfolgt eine abschließende Klärung des Geltungsbereichs der Vorschrift, zu dem z. B. auch Aushub- und Erdarbeiten, Errichtung sowie Abbau von Fertigbauelementen und Umbau, Malerarbeiten, Reparatur-, Abbruch- und Rückbauarbeiten gehören. Auch wenn die bisherige UVV bereits die Errichtung sowie den Abbau von Maschinen erfasste, soll an dieser Stelle nochmals darauf hingewiesen werden, dass die genannten Arbeiten an Maschinen weiterhin zum Geltungsbereich der neuen Vorschrift gehören.
Vom Geltungsbereich der neuen Vorschrift sind hingegen ganz bestimmte Arbeiten an elektrischen Betriebsmitteln ausgenommen. So fallen insbesondere das Anbringen, Ändern und Abnehmen elektrischer Betriebsmittel an Freileitungen, Oberleitungsanlagen und Masten nicht unter den Geltungsbereich der neuen UVV. Die klassischen Bauarbeiten an der baulichen Anlage sind zu diesem Zeitpunkt abgeschlossen – Installation, Instandhaltung, Umbaumaßnahmen sowie die Demontage elektrischer Betriebsmittel sind als ergänzende Tätigkeiten an der baulichen Anlage zu werten. Die branchenspezifischen Randbedingungen der Arbeitsplätze sowie die Art der Arbeitsdurchführung erfordern eine spezifischere Betrachtung der erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen.
Insbesondere stehen bei den beschriebenen Arbeiten, abweichend von klassischen Bauarbeiten, i. d. R. keine Schutzgerüste zur Verwendung als Zugangsweg zu den Arbeitsstellen und als Schutz gegen Absturz zur Verfügung. Ungeachtet dieser Betrachtungen sind selbstverständlich umfangreiche Maßnahmen zur sicheren Durchführung der hier beschriebenen Arbeiten zu ergreifen, die im staatlichen und berufsgenossenschaftlichen Regelwerk fixiert sind.
Ergänzende Vorschriften
Im Rahmen der Überarbeitung erfuhr die ehemalige UVV eine Kürzung von 75 auf nun 13 Paragrafen, gleichwohl ist der Regelungsumfang nach wie vor stattlich. Die Überschriften der Paragrafen lassen nur bedingt die Fülle der in ihnen enthaltenen Vorschriften erahnen. Somit ist eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Inhalten der neuen Vorschrift unumgänglich und ein leichtes Auffinden gesuchter Regelungsinhalte über das Inhaltsverzeichnis nur schwerlich möglich.
Zwischenzeitlich wurde vom Fachbereich Bauwesen der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) eine zugehörige Regel zur DGUV Vorschrift Bauarbeiten erarbeitet, die Unternehmerinnen und Unternehmern sowie allen Verantwortlichen für Sicherheit und Gesundheit auf Baustellen Unterstützung bei der Umsetzung der UVV-Anforderungen bietet. Durch einen paragrafenzugehörigen Abdruck der Kommentierungen und Erläuterungen besitzt das Regelwerk eine gute Übersichtlichkeit.
Verantwortung und Aufgaben
Hervorzuheben ist die Zusammenfassung der Anforderungen an die Verantwortung und Aufgabenstellung unterschiedlicher Akteure auf der Baustelle unter § 3 „Leitung, Aufsicht und Sicherungsaufgaben“ (siehe nachfolgende Abbildung). Auch weiterhin haben Unternehmer dafür zu sorgen, dass Bauarbeiten von weisungsbefugten Vorgesetzten, den Bauleitern/innen, geleitet werden, denen die Umsetzung der staatlichen und berufsgenossenschaftlichen Vorschriften obliegt. Selbstverständlich tragen sie die Verantwortung für eine wirkungsvolle Minimierung der Gefährdungen für Sicherheit und Gesundheit auf der Baustelle. Die Durchführung einzelner Bauarbeiten auf der Baustelle sind darüber hinaus von weisungsbefugten und fachkundigen Personen, den Aufsichtsführenden, zu beaufsichtigen.
Die Verständigung von Bauleitern, Aufsichtsführenden, Auftragnehmern und zahlreichen Versicherten, gegebenenfalls aus unterschiedlichen Herkunftsländern, führte in der Vergangenheit regelmäßig zu Schwierigkeiten beim Bauablauf und zu Risiken beim Arbeits- und Gesundheitsschutz. Grenzübergreifende Aktivitäten der auf Baustellen agierenden Unternehmen erfordern daher auch zukünftig wirkungsvolle Maßnahmen zur Sicherstellung der Verständigung aller auf Baustellen engagierten Unternehmen und Personengruppen.
Die neue UVV fordert daher, dass eine Verständigung in deutscher Sprache zumindest mit dem Aufsichtführenden bzw. dessen Vertretung bei der Durchführung von Bauarbeiten zu gewährleisten ist. Alle Aufsichtführenden müssen im Sinne dieser Zielsetzung neben umfassenden deutschen Sprachkenntnissen auch über die notwendigen Fachkenntnisse und Kenntnisse der Baufachbegriffe verfügen, um eine eindeutige Verständigung auf der Baustelle sicherzustellen.
Zur Durchführung von Bauarbeiten, die mit erhöhten Risiken für die Versicherten verbunden sind, hat der Unternehmer fachkundige Personen mit Sicherungsaufgaben zu betrauen.
Sicherungsaufgaben können z. B. von Sicherungsposten wahrgenommen werden, die gleichzeitig mit keiner anderen Tätigkeit beauftragt sein dürfen.
Zu den Bauarbeiten, die den Einsatz von Sicherungsposten erfordern, gehören u. a. Abbrucharbeiten sowie Arbeiten in Rohrleitungen, Bohrungen oder engen Räumen (z. B. Silos oder Schornsteine). In Abhängigkeit der mit der konkreten Bauarbeit verbundenen Gefährdungen kann eine ständige Beobachtung der zu schützenden Versicherten erforderlich sein.
Selbstverständlich haben Unternehmer auch im Rahmen der Durchführung von Bauarbeiten ihren klassischen Pflichten hinsichtlich der sicherheitsgerichteten Auswahl von Einrichtungen, Arbeitsmitteln, Persönlichen Schutzausrüstungen, Arbeitsverfahren und Arbeitsstoffen gerecht zu werden. Sie haben u. a. dafür zu sorgen, dass die Arbeitsverfahren, zugehörige Einrichtungen und Arbeitsmittel sowie Persönliche Schutzausrüstungen entsprechend ihrer Betriebsanweisung sowie der Unterweisung verwendet werden.
Absturzunfälle
Absturzunfälle gehören nach wie vor zu den schwersten Arbeitsunfällen auf Baustellen und führen häufig zu tödlichen Verletzungen. Die Anforderungen zum Schutz gegen Absturz der bisherigen UVV erfuhren keine wesentliche Veränderung und sind nun in § 9 der neuen UVV zusammengefasst. Nach wie vor liegt ein zweigeteilter Betrachtungsansatz vor: Zunächst werden in Abhängigkeit unterschiedlicher Arbeitsplätze „Auslösehöhen“ definiert, mit deren Überschreitung Maßnahmen zum Schutz gegen Absturz zu ergreifen sind. In einem weiteren Schritt gibt die UVV konkrete bauliche, organisatorische und persönliche Maßnahmen zum Schutz gegen Absturz in einer Prioritätenliste vor.
Absturzgefahr besteht bei einer Absturzhöhe von mehr als 1,00 m.
Unabhängig von der Absturzhöhe haben Unternehmer Maßnahmen gegen ein Abstürzen an Arbeitsplätzen und Verkehrswegen mit Gefährdungen durch ein Versinken in festen oder flüssigen Stoffen (z. B. Wasser) zu ergreifen.
Bei Absturzhöhen > 1 m sind Maßnahmen zum Schutz gegen Absturz an freiliegenden Treppenläufen und -absätzen, Wandöffnungen und Verkehrswegen zu ergreifen, bei Absturzhöhen > 2,00 m an allen übrigen Arbeitsplätzen. Die neue UVV verschärft somit ihre Anforderungen an Schutzmaßnahmen für Verkehrswege, die in der bisherigen UVV erst bei Absturzhöhen > 2 m zu ergreifen waren.
Für Arbeitsplätze und Verkehrswege auf Dächern und Geschossdecken mit Neigungen ≤ 22,5° und einer Grundfläche ≤ 50 m² sind Schutzvorrichtungen gegen Absturz erst ab einer Absturzhöhe > 3,00 m erforderlich, sofern die Arbeiten von hierfür fachlich qualifizierten und körperlich geeigneten und besonders unterwiesenen Versicherten ausgeführt werden und die Absturzkante deutlich zu erkennen ist.
Diese Sonderregelung der neuen UVV ermöglicht somit das Arbeiten und die Benutzung von Verkehrswegen auf Dächern und Geschossdecken eingeschossiger Gebäude ohne Schutzvorrichtungen gegen Absturz.
Lassen sich Schutzvorrichtungen aus arbeitstechnischen Gründen nicht verwenden, haben Unternehmer dafür zu sorgen, dass ersatzweise Einrichtungen zum Auffangen abstürzender Personen (Auffangeinrichtungen) zum Einsatz kommen. Als Schutzvorrichtungen haben sich z. B. Umwehrungen in Form von Brüstungen, Geländern, Gittern, dreiteilige Seitenschutzkonstruktionen bewährt. „Arbeitstechnische Gründe“ können z. B. bei Arbeiten vorliegen, die direkt an Absturzkanten durchzuführen sind und Absturzsicherungen die Arbeiten nicht ermöglichen. Auch nicht tragfähige Konstruktionselemente baulicher Anlagen stellen einen arbeitstechnischen Grund dar, der die Befestigung/Verankerung von Schutzvorrichtungen nicht ermöglicht.
Die in der UVV in zweiter Priorität geforderten Auffangeinrichtungen wie z. B. Schutz- oder Sicherheitsnetze, Schutzwände oder -gerüste müssen abstürzende Personen wirksam auffangen und vor einem weiteren Absturz schützen. Während im Rahmen klassischer Rohbauarbeiten umfangreich errichtete Gerüste zu Auffangzwecken eingesetzt oder erweitert werden können, stehen diese i. d. R. im Rahmen von kurzfristigen Arbeiten, z. B. an elektrischen Betriebsmitteln, nicht zur Verfügung. Eine umfangreiche Errichtung von Gerüsten erscheint ebenfalls mit Blick auf den Umfang kurzfristiger Arbeiten als nicht verhältnismäßig.
Einsatz von Persönlicher Schutzausrüstung
Lassen sich keine Schutzvorrichtungen oder Auffangeinrichtungen einrichten, weist die UVV als Maßnahme dritter Priorität auch weiterhin den Einsatz Persönlicher Schutzausrüstungen gegen Absturz (PSAgA) aus. Auch wenn sie keinen generellen Ersatz für die zuvor beschriebenen Maßnahmen darstellen können, liegen im Zusammenhang mit einer bestimmungsgemäßen und professionellen Verwendung von PSAgA kaum nennenswerte Unfallerfahrungen vor.
Schwerpunktmäßig sind beim Einsatz von PSAgA folgende Anforderungen zu berücksichtigen:
- Die Unternehmer wählen die PSAgA als Ergebnis ihrer spezifischen Gefährdungsbeurteilungen aus.
- Mit Arbeiten unter Verwendung von PSAgA werden ausschließlich fachlich und körperlich geeignete Versicherte beauftragt.
- Die Versicherten sind regelmäßig und wiederkehrend in der Verwendung der PSAgA und ergänzend in der Durchführung erforderlicher Rettungsmaßnahmen zu unterweisen. Zu den Unterweisungen gehören jeweils auch praktische Übungen.
- Einzelheiten zum PSAgA-Einsatz werden im Rahmen einer ergänzenden baustellenspezifischen Gefährdungsbeurteilung vor Ort durch den weisungsbefugten und fachkundigen Vorgesetzten festgelegt.
- Im Rahmen der ergänzenden Gefährdungsbeurteilung sind die zu verwendenden geeigneten Anschlageinrichtungen festzulegen.
Fragwürdige Ausnahmen
Leider wurde die bereits in der bisherigen UVV Bauarbeiten fixierte Möglichkeit zu einem Verzicht auf alle zuvor beschriebenen Maßnahmen zum Schutz gegen Absturz auch in der neuen UVV beibehalten. Lassen hiernach die Eigenart und der Fortgang der jeweiligen Bauarbeit sowie die Besonderheiten des Arbeitsplatzes die vorgenannten Schutzmaßnahmen nicht zu, besteht die Möglichkeit, dass auf die Anwendung von PSAgA im Einzelfall nur dann verzichtet werden darf, wenn
- Arbeiten von fachlich qualifizierten und körperlich geeigneten Versicherten ausgeführt werden,
- Unternehmer für begründete Ausnahmefälle besondere Unterweisungen durchgeführt haben und
- die Absturzkante für die Versicherten deutlich erkennbar ist.
Kritisch ist zu hinterfragen, ob eine UVV formal einen Freiraum für den Verzicht auf Sicherungsmaßnahmen fixieren sollte, besonders wenn es um Gefährdungen mit möglichen tödlichen Verletzungsfolgen geht. Das staatliche Vorschriftenwerk verzichtet sowohl in der Arbeitsstättenverordnung, die auch für Baustellen anzuwenden ist, als auch in der Betriebssicherheitsverordnung und ihrem zugehörigen Regelwerk auf die Festlegung derartiger Freiräume. Lediglich das der Arbeitsstättenverordnung angegliederte Regelwerk beinhaltet einen vergleichbaren Freiraum.
Ungeachtet dieser Kritik ist zu unterstreichen, dass der Verzicht auf Sicherungsmaßnahmen ausschließlich nur dann in Anspruch genommen werden könnte, wenn alle zuvor aufgezeigten Maßnahmen auf der Baustelle nicht realisierbar sind und dies in jedem Einzelfall auch gegenüber den staatlichen Aufsichtsbehörden und den Berufsgenossenschaften glaubhaft belegbar wäre.
Einsatz von Leitern
Umfangreiche Anforderungen beinhaltet die neue UVV auch an die Verwendung von Leitern auf Baustellen. Zunächst wird deutlich, dass die UVV wesentliche Inhalte der TRBS 2121 Teil 2 „Gefährdung von Beschäftigten bei der Verwendung von Leitern“ übernommen hat. Das mit Ausgabe von Dezember 2018 vorliegende Regelwerk hat in der jüngeren Vergangenheit bereits zu zahlreichen Diskussionen bzgl. der enthaltenen Anforderungen zur konstruktiven Ausführung von Leitern, deren Einsatzdauer und zulässigen Arbeits- und Zustiegshöhen geführt. Zur Verwendung von Leitern fordert die neue UVV u. a.:
- Die Verwendung einer Leiter als Arbeitsplatz oder als Verkehrsweg ist durch die Gefährdungsbeurteilung zu begründen. Hierbei sind die mit der Leiterverwendung verbundenen Gefährdungen, die Dauer der Verwendung und vorhandene bauliche Gegebenheiten auf der Baustelle zu berücksichtigen.
- Generell gilt: Die Verwendung anderer sichererer Arbeitsmittel hat Vorrang vor der Verwendung von Leitern.
- Tragbare Leitern dürfen als Arbeitsplatz bei Bauarbeiten nur mit einer Standhöhe ≤ 2 m und bei Standhöhen ≤ 5 m nur im Rahmen zeitweiliger Arbeiten eingesetzt werden.
- Tragbare Leitern dürfen als Arbeitsplatz bei Bauarbeiten nur verwendet werden, wenn der Versicherte mit beiden Füßen auf einer Stufe oder Plattform steht und der Standplatz auf der Leiter nicht höher als 5,00 m über der Aufstellfläche liegt.
- Ein Arbeiten auf tragbaren Leitern mit Sprossen ist nur zulässig, wenn die Gefährdungsbeurteilung ergibt, dass kein anderes sichereres Arbeitsmittel verwendet werden kann.
- Leitern dürfen als Aufstiege zu Arbeitsplätzen nur bei einem zu überbrückenden Höhenunterschied ≤ 5 m und im Rahmen kurzzeitiger Bauarbeiten eingesetzt werden.
Sowohl die DGUV Regel 101-038 „Bauarbeiten“ als auch die TRBS 2121 „Gefährdung von Beschäftigten durch Absturz – Allgemeine Anforderungen“ geben keine wesentliche Hilfestellung für eine Entscheidung zum Einsatz von Sprossenleitern zur Durchführung von Arbeiten, die aber weiterhin in besonders begründeten Ausnahmefällen zulässig sein sollen. Die TRBS räumt ein, dass die besagten Ausnahmefälle über die Gefährdungsbeurteilung begründet werden können.
Erheblich größere Schwierigkeiten bereitet im Einzelfall die Forderung nach einer Begrenzung des zu überwindenden Höhenunterschieds ≤ 5 m mittels Leitern. Mit Blick auf gängige Geschosshöhen bei Wohngebäuden führt die Forderung dazu, dass ausschließlich Dächer eingeschossiger Gebäude unter Verwendung von Leitern bestiegen werden können.
Eine Ausnahmeregelung beinhaltet die neue UVV an dieser Stelle nicht – vielmehr wird die Möglichkeit zur Überbrückung von Höhenunterschieden > 5 m in sehr seltenen Fällen in der zugehörigen DGUV Regel 101-038 „Bauarbeiten“ eingeräumt.
Kritisch ist an dieser Stelle anzumerken, dass die Vorgabe in der UVV nicht formal durch eine abweichende Regelung im Regelwerk aufgehoben werden kann.
Anders regelt die TRBS 2121 Teil 2 den Sachverhalt mit vertretbaren Zustiegshöhen unter Verwendung von Leitern. Das Regelwerk fordert gleichlautend zunächst eine Beschränkung auf ≤ 5 m bei den Zustiegshöhen, räumt jedoch im folgenden Absatz die Möglichkeit zur Überwindung größerer Höhenunterschiede ein, sofern die Leiter als Zugang zum Erreichen von Arbeitsplätzen sehr selten benutzt wird.
Da mit Blick auf den Geltungsbereich das Anbringen, Ändern, Instandhalten und Abnehmen elektrischer Betriebsmittel an Freileitungen, Oberleitungsanlagen und Masten nicht von der neuen UVV erfasst wird, greifen auch die Vorgaben der UVV nicht für die Verwendung von Leitern im Zusammenhang mit diesen Arbeiten.
Vielmehr sind die Regelungen der DGUV Information 203-058 „Schutz gegen Absturz bei Arbeiten an elektrischen Anlagen auf Dächern“ zu berücksichtigen. Das Regelwerk legt an dieser Stelle eine maximale Höhendifferenz von 7 m zwischen der Standfläche der Leiter und der Traufe eines Gebäudes fest. Somit können unter Berücksichtigung der DGUV Information zweigeschossige Gebäude auch weiterhin unter Verwendung von Leitern bestiegen werden.
Die hier vorgestellten Regelungen zu vertretbaren Zustiegshöhen sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass Ab- und Umstürze von und mit Leitern häufig mit erheblichen Verletzungsfolgen verbunden sind. Der Einsatz von Leitern setzt nach aktuellen Präventionserkenntnissen daher stets eine kritische Auseinandersetzung mit alternativen Zustiegsmöglichkeiten voraus. Ein sicheres Arbeiten auf sowie das Besteigen von Leitern, insbesondere in größeren Höhen, wird auch weiterhin nur mit qualifizierten Beschäftigten, solide aufgestellten und gegen Wegrutschen gesicherten Leitern zu gewährleisten sein.
Einsatz von Hubarbeitsbühnen
Hubarbeitsbühnen haben sich in der Vergangenheit als zuverlässige Arbeitsmittel erwiesen, die eine sichere und zügige Durchführung einzelner Arbeitsaufträge ermöglichen. Bei einer Vielzahl von Arbeitsaufträgen lassen sich Hubarbeitsbühnen vor den Gebäuden positionieren und sicher aufbauen. Im Einzelfall können die Arbeiten aus dem Arbeitskorb heraus durch die Art der elektrischen Betriebsmittel oder deren Lage auf dem Dach nicht direkt durchgeführt werden.
Diese ungünstigen Voraussetzungen führen nicht zwingend zum Besteigen des Daches mit Leitern. Vielmehr gilt es zu prüfen, ob ein möglichst naher Zugang zur Arbeitsstelle mittels Hubarbeitsbühne möglich und der restliche Zugang auf der Dachfläche selbst sinnvoll ist.
Pauschal sind Hubarbeitsbühnen nicht für das Aus- und Einsteigen von Personen im Betriebszustand vorgesehen. Gefährdungen können z. B. durch eine Überlastung des Arbeitskorbes oder unkontrollierte Bewegungen des Bühnenarms entstehen – auch für den Transport größerer Lasten, wie von Bauelementen oder -stoffen sowie schwerer Arbeitsmittel, sind Hubarbeitsbühnen bestimmungsgemäß nicht vorgesehen.
Die Abbildungen zeigen auf Grundlage einer Abstimmung mit dem Bühnenhersteller, einer umfassenden Gefährdungsbeurteilung und Anwendung eines zugeschnittenen Sicherungskonzepts den Zugang zu einem Dachständer für Freileitungen.
Hierbei wird der Arbeitskorb in die erreichbare Nähe des Dachständers verfahren und so positioniert, dass über die Zugangsöffnung ein leichtes Besteigen der Dachfläche möglich ist. Der Beschäftigte schafft mit einer Sicherungsstange einen Anschlagpunkt am Dachständer für seine PSAgA – hierdurch ist der Beschäftigte bereits zum Zeitpunkt des Verlassens des Arbeitskorbes ausreichend gegen Absturz geschützt.
Dachständer müssen hinsichtlich ihrer Eignung zur Schaffung eines Anschlagpunktes vorab bewertet sein. Der gesicherte Zugang zum Dachständer erfolgt unter Anwendung eines mitlaufenden Auffanggeräts einschließlich beweglicher Führung. Nach Beendigung der Arbeiten wird die Dachfläche in gleicher Weise wie beim Zugang verlassen.
Lässt sich der Einsatz von Leitern zum Erreichen von Dachflächen aus betriebstechnischen Gründen nicht vermeiden sind u. a. folgende Gesichtspunkte zu berücksichtigen:
- Zustiegshöhen > 7 m sind zu vermeiden.
- Im Sinne einer möglichst großen Standsicherheit müssen Leitern mit einer ausreichend dimensionierten Traverse im Fußbereich ausgestattet sein. Höhenunterschiede der Aufstellebene sind auszugleichen.
- Leitern sind so auszuwählen oder in ihrer Länge einzustellen, dass sie ≥ 1 m über die Anlegekante hinausragen.
- An der dachseitigen Anlegekante sind die Leitern gegen seitliches Verrutschen zu sichern.
- Das Übersteigen von der Anlegeleiter auf die Dachfläche sollte ab einer Höhendifferenz zwischen Aufstell- und Dachebene > 5 m unter Anwendung von PSAgA erfolgen.
- Auf Dächern mit einer Neigung > 22,5° sind auf der Dachfläche separate Zugangswege, z. B. durch den Einsatz von Dachauflegeleitern zu schaffen.
- Zum Schutz gegen Absturz sind PSAgA einzusetzen. Bei Arbeiten an Freileitungen auf Dächern kann z. B. über eine Sicherungsstange mit Klapphaken ein Anschlagpunkt am Dachständer erzeugt werden – in Folge ist eine Begehung der Dachauflegeleiter mit Schutz gegen Absturz durch die Verwendung eines mitlaufenden Auffanggeräts einschließlich beweglicher Führung möglich.
Die Abbildungen verdeutlichen den Einsatz der PSAgA im Rahmen von Arbeiten an einem Dachständer auf einem Satteldach. An der Traufkante führt der Mitarbeiter auf der Anlegeleiter stehend die Sicherungsstange auf die Dachfläche. Durch das „Rollenfahrwerk“ der Stange kann diese ohne erheblichen Kraftaufwand zum Dachständer geschoben und über den Klapphaken ein Anschlagpunkt am Dachständer geschaffen werden. Die bewegliche Führung sollte entlang der Dachauflegeleiter gespannt werden, um ein störungsfreies Gleiten des mitlaufenden Auffanggeräts zu fördern.
Zur Durchführung der Arbeiten am Dachständer empfiehlt sich eine ergänzende Positionierung des Beschäftigten durch die Verwendung eines Halteseils.
Nicht alle Leitern unterliegen automatisch den Anforderungen der neuen UVV Bauarbeiten oder den Regelungen der TRBS 2121 Teil 2, die ausschließlich tragbare/fahrbare Leitern erfassen. Hierzu gehören u. a. folgende Leitern oder leiterähnliche Konstruktionen, die häufig im Bereich der Energieversorgungsunternehmen, der ihnen zuarbeitenden Bau- und Montageunternehmen und im Elektrohandwerk Verwendung finden:
Leitertyp; leiterähnliche Konstruktion | Hinweise |
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Steigleitern |
sind fest mit der baulichen Anlage verbunden. |
Mastleitern |
werden fest mit Freileitungsmasten verspannt oder an Aufhängekonstruktionen eingehängt. Steighöhen sind > 5 m. |
Dachauflegeleitern |
sind Geh- und Besteigehilfen auf geneigten Dachflächen, |
Montagehänge-/abspannleitern |
werden an Masttraversen hängend in beliebigen Höhen eingesetzt. Besteigevorgänge ausschließlich unter Verwendung von PSAgA. |
Montagebühnen; Gehbalken; u. Ä. |
Konstruktionen mit möglicherweise leiterähnlichem Erscheinungsbild. Werden horizontal hängend an Freileitungen ausschließlich unter Verwendung von PSAgA eingesetzt. |
Dr. Reinhard Lux
→ info
Die Mustervorschrift der DGUV Vorschrift 38 kann bereits unter publikationen.dguv.de als pdf-Datei heruntergeladen werden.