Gerade fährt Carsten Meyer noch entspannt auf der Landstraße dem nächsten Kundentermin entgegen, als sein Handy klingelt. Über die Freisprecheinrichtung erfährt er, dass seine Tochter einen schweren Fahrradunfall hatte und im Krankenhaus liegt. Geschockt und angsterfüllt beschleunigt er den Wagen, will so schnell wie möglich zu seinem Kind, drängelt hinter dem Vordermann, gibt Lichthupe, will nur noch überholen, aber immer wieder kommt ihm ein Auto entgegen. Dann verliert er die Kontrolle über sein Fahrzeug, kommt von der Straße ab und prallt gegen einen Baum.
Zugegeben, das Beispiel ist krass. Aber es zeigt, welche Folgen starke Emotionen im Straßenverkehr haben können. Und weil Wut, Ärger, Angst, Kränkung, Trauer, aber auch Euphorie und Freude auf der Straße zu Unfällen führen können, hat der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) gemeinsam mit den Berufsgenossenschaften und den Unfallkassen die Schwerpunktaktion „Risiko-Check Emotionen“ gestartet. Autofahrer, Radfahrer und Fußgänger sollen für die Wirkung von Emotionen im Straßenverkehr sensibilisiert werden und lernen, wie sie mit ihren Emotionen umgehen können. Die oben beschriebene Szene stammt aus dem dazugehörigen Aktionsvideo.
Belastung verstärkt Emotionen
Warum sich der DVR gerade das Thema Emotionen vorgenommen hat, erklärt Kay Schulte, Referatsleiter Unfallprävention beim DVR: In Unternehmen und Einrichtungen nähmen die psychischen Belastungen und Beanspruchungen immer mehr zu und stellten eine Herausforderung an die Prävention dar. „Unter Einfluss von psychischen Belastungen und Beanspruchungen werden Straßenverkehrssituationen anders wahrgenommen als wenn man ausgeglichen in derartige Situationen kommt. Unter Anspannung reagieren dabei viele Menschen sehr emotional, was gerade im Straßenverkehr zu kritischen Situationen führt.“
Die Schwerpunktaktion trage deshalb nicht nur dazu bei, „für ein gewisses Maß an Gelassenheit im Straßenverkehr“ zu sorgen, es liefere „gleichzeitig Werkzeuge, auch an den eigenen psychischen Belastungen und Beanspruchungen zuarbeiten“.
Der ganze Körper reagiert
Emotionen sind mehr als nur ein Gefühl. Emotionen haben auch immer Auswirkungen auf den Körper. Sie lassen das Herz schneller schlagen, beschleunigen den Puls, sorgen für angespannte Muskeln oder einen heißen Kopf. Bei diesen Reaktionen handelt es sich um unbewusste Prozesse, mit denen der Organismus sich auf die Situation einstellen will. Und das beeinflusst unser Verhalten – auch im Straßenverkehr.
Die Emotionen selbst sind dabei nicht direkt gefährlich, sondern ihre Intensität und die Handlungen, die möglicherweise daraus entstehen. Denn je stärker eine Emotion, desto größer ist die Gefahr, sich von dieser Emotion zu Handlungen hinreißen zu lassen, durch die man sich selbst oder andere gefährdet, erklären die Verantwortlichen auf der Aktionswebsite www.risiko-check-emotionen.de.
Die Frage, die die Schwerpunktaktion beantworten will, ist: Wie gehen wir mit unseren Emotionen im Straßenverkehr um, damit sie möglichst keine negativen Folgen haben? Dabei geht es nicht nur um Aggressionen, Wut, Zorn oder Trauer. Auch positive Emotionen wie Freude oder gute Laune können gefährlich werden, wenn sie sehr intensiv werden. Sorglosigkeit und eingeschränkte Aufmerksamkeit können die Folge sein.
Seminarunterlagen für Betriebe
Auf der Aktionswebsite wird erklärt, was Emotionen überhaupt sind, wozu wir sie brauchen, welche Folgen sie im Straßenverkehr haben können und wie man die Auswirkungen starker Emotionen verhindern kann. Außerdem gibt es ein Vortrags- und Seminarangebot für Betriebe und Fahrschulen.
Das Angebot ist abgestimmt auf Auto- und Motorradfahrer, Lkw- und Transporterfahrer sowie auf Fußgänger und Radfahrer. Für jede Zielgruppe gibt es speziell auf sie zugeschnittene Vortragsfolien und ein Seminarangebot mit Arbeitsblättern, die auf der Aktionswebsite zum kostenlosen Download bereitstehen. Der Vortrag dauert jeweils 15 Minuten, das Seminar 45 Minuten. Für jede Zielgruppe gibt es darüber hinaus Videos, in denen ein Jurist nachgestellte Gefahrensituationen und typische Verhaltensweisen von Verkehrsteilnehmern rechtlich einordnet.
Videos zeigen Beispiele
Dabei können Autofahrer wie Radfahrer das, was sie vielleicht vor Jahren in der Fahrschule gelernt haben, auffrischen. Wie viel schneller als der Vordermann muss man beispielsweise mindestens fahren, um überholen zu dürfen? Und wie groß muss der Abstand zum Vordermann überhaupt sein? Und dürfen Radfahrer dauerhaft vor einem Auto oder Lkw fahren oder müssen sie Platz machen, damit der Hintermann vorbeifahren kann? Antworten auf diese und andere Fragen bekommen Teilnehmerinnen und Teilnehmer in den Videos.