Die Unfallstatistik des Jahres 2017 verzeichnet deutschlandweit etwa 3.100 Unfälle mit Beteiligung von Lastkraftwagen (Lkw) und Fahrradfahrern. Etwa ein Drittel davon entfielen auf Abbiegeunfälle, bei denen insgesamt 37 Radfahrer tödlich verletzt wurden. In vielen Fällen hatte der Lkw-Fahrer den Radfahrer nicht gesehen.
Die Sicht für Lkw-Fahrer wurde im Laufe der letzten Jahre zwar stetig verbessert. So verfügen schwere Lastwagen heute neben den beiden Hauptaußenspiegeln mit Weitwinkel-, Front und Nahbereichs-/Anfahrspiegeln über insgesamt sechs Rückspiegel. Problematisch ist aber weiterhin, dass ein vorbeifahrender Radfahrer in jedem der Spiegel weniger als eine Sekunde sichtbar sein kann. Da der Lkw-Fahrer ständig den Verkehr auf allen Seiten seines Brummis beobachten muss, kann ein Radfahrer den Sichtbereich des Spiegels durchfahren, während dieser gerade nicht vom Fahrer eingesehen wird. Zudem gibt es nicht einsehbare Bereiche, die sogenannten toten Winkel.
Laut EU-Gesetzen müssen daher neue Lkw-Typen ab 2022, alle weiteren Neufahrzeuge spätestens ab 2024 verpflichtend mit Abbiegeassistenten ausgerüstet werden. Auch weitere Sicherheitsfeatures wie Spurhalteassistent und eine intelligente Geschwindigkeitsassistenz werden ab diesem Datum zur Pflicht.
Rechtsabbiegen ist besondere Stresssituation
Im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen bei Fahrzeugführern gaben Lkw-Fahrer das Rechtsabbiegen als besondere Stresssituation an. Auch aus diesem Grund ist es notwendig, schon jetzt darüber nachzudenken, wie man den Stand der Technik erreichen kann. Bei neu anzuschaffenden Fahrzeugen kann ein Blick in die Aufpreisliste des Herstellers Möglichkeiten aufzeigen, den Sicherheitsstandard zu verbessern. Sind Abbiegesysteme auch für Neufahrzeuge vom Hersteller nicht lieferbar oder geht es um einen bereits im Unternehmen befindlichen Lkw, so kommen Nachrüstsysteme infrage. Ein solches System ist aber immer ein „Add-on“ zur vorhandenen Fahrzeugtechnik. Eine Vernetzung ist nur begrenzt möglich, Funktionen wie automatisches Abbremsen beispielsweise können nicht realisiert werden. Auch die Anforderung an neue Fahrzeugtypen ab 2022 können Nachrüstsysteme nicht völlig erfüllen.
Assistenten nutzen Sensortechniken
Abbiegeassistenten nutzen bereits im Fahrzeugbau verwendete Sensortechniken. So werden aus dem Bereich der Rückfahrsicherung bekannte Kamerasysteme am Fahrerhaus installiert. Oft wird die Kamera vorn an der rechten Fahrzeugflanke ab etwa 1,30 m Höhe nach hinten blickend montiert oder an der Dachkante des Führerhauses, sodass sich ein Blick aus der Vogelperspektive ergibt.
Das Bild wird auf einen Monitor nahe der rechten A-Säule übertragen und kann so beim Blick in Richtung der Rückspiegel miterfasst werden. Teilweise werden unterstützend Ultraschall- oder Radarsensoren an der rechten Fahrzeugseite montiert, die über LED-Anzeigen und Warntöne vor Radfahrern und Fußgängern im toten Winkel warnen. Diese Sensoren können aber in der Regel nur Gegenstände wahrnehmen und zeigen den Abstand zu diesen Objekten an; sie unterscheiden nicht zwischen statischen und sich bewegenden Objekten.
Die nächste Stufe zur Fahrerunterstützung stellen Kamerasysteme mit Bilderkennung dar. Hier sorgt eine Bildverarbeitung dafür, dass bei Fußgängern und Radfahrern Alarm geschlagen wird, während statische Objekte wie parkende Autos oder auch Ampelmasten auf dem Display nicht besonders markiert werden.
Ein wichtiger Faktor für die Akzeptanz der Nachrüstsysteme sind die mit dem Einbau verbundenen Kosten. Einfache Systeme werden mit ca. 1.000 Euro inklusive Einbau beworben, aufwendigere Systeme mit mehreren Sensoren oder Bildauswertung liegen bei bis zu 2.500 Euro ohne Einbau. Systeme mit einer allgemeinen Betriebserlaubnis (ABE) werden vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) mit bis zu 1.500 Euro gefördert. Dazu hat das Ministerium weitere Mittel bereitgestellt, die seit Juni 2019 auf antrag-gbbmvi.bund.de angefordert werden können.
Ulrich Skowronek