Vorbild Deutschland
Die Bilder aus der Klinik „Bergmannstrost“ haben sich tief im Kopf von Dr. Sajid Rasheed eingeprägt. Bilder von hoch spezialisierten deutschen Kollegen, die in einem der modernsten Trauma-Zentren Europas mit mikrochirurgischen Techniken auch eine abgetrennte Hand wieder annähen können. Sie werden Sajid Rasheed noch lange begleiten und bei seiner Arbeit ermutigen.
Ein Traum für den pakistanischen Arzt, der eine kleine medizinische Einheit in Faisalabad in der Provinz Punjab leitet. Als Director Medical im Punjab Employees Social Security Institute hat er in der pakistanischen Form einer Sozialversicherung für Angestellte eine leitende Funktion. Rasheed ist Realist. „Es wird dauern, aber wir haben den Willen und das Ziel, solche Standards auch in unserem Land zu verwirklichen“, sagt der 47-jährige Mediziner.
Rasheed geht es um mehr als hoch qualifizierte Chirurgie. Was ihn und die Mitglieder einer pakistanischen Delegation so fasziniert, ist die interdisziplinäre Arbeit im BG Klinikum „Bergmannstrost“ in Halle – die enge Verzahnung von Akutmedizin mit frühestmöglicher Rehabilitation: Vor allem die berufliche Rehabilitation und die Wiedereingliederung der Patienten in das Arbeits- und Lebensumfeld. Dass alles dafür getan wird, etwa Unfallopfer wieder an ihrem alten Arbeitsplatz zu integrieren.
Oder ihnen Alternativen zu ermöglichen, wenn der frühere Job mit der angenähten Hand einfach nicht mehr möglich ist. „Warum soll er denn nicht Lehrer werden?“ Dieser Gedanke fasziniert Sajid Rasheed. Der Besuch in der Notaufnahme, in der Station für Rückenmarkverletzte und der Therapie-Abteilung war für ihn ein Highlight der zweiwöchigen Fortbildung.
Beispiel für mehr Prävention
Die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) hat den Dresden-Trip der 22 Gäste aus Asien finanziert. Organisiert und begleitet hat ihn die BG ETEM mit Dorothee Hübner aus dem Referat Statistik als Organisationschefin. Die Berufsgenossenschaft ist der perfekte Partner für das Pakistan-Projekt, weil sie auch in Deutschland Unternehmen der Textilbranche im Arbeitsschutz berät.
Die Textilproduktion gehört zu den wichtigsten Industriezweigen Pakistans. Die pakistanischen Betriebsärzte, Arbeitsinspektoren, Gewerkschafter, Arbeitgeber und Mitarbeiter von staatlichen Wohlfahrtsorganisationen sollen die Rolle der BG im deutschen Sozialversicherungssystem kennenlernen. Die BG ETEM zeigt dazu Beispiele für Erfolgsfaktoren beim Aufbau eines effektiven Systems.
Mehr und bessere Prävention senkt die Zahl der Arbeitsunfälle und bedeutet geringere Kosten für die Arbeitgeber. Eine einfache Gleichung, die sich Unternehmen zunutze machen wollen. Der Anfang ist gemacht, in ersten Initiativen ist es gelungen, „ein Stück BG in Pakistan zu implementieren“, sagt Dorothee Hübner: durch die Erfassung von Arbeitsunfällen, durch Dokumentation und Auswertung. „Der Erfolg der Prävention muss messbar sein“, fügt die Expertin hinzu.
Ideen für Pakistan
Sozialversicherung und moderne Arbeitsstandards als Basis für nachhaltiges Wirtschaftswachstum stehen in Dresden im Fokus. Prävention, Rehabilitation und die Bewältigung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sind die Stichworte. Theorie und praktische Workshops, gezielte Informationen, spezielle Trainings für Arbeitsinspektoren, Besuche bei der Porsche AG in Leipzig und der Getzner Textil Weberei GmbH in Gera runden den Arbeitsbesuch ab. Die meisten Gäste kommen aus Punjab, der größten pakistanischen Provinz, in der mehr als die Hälfte der 180-Millionen-Bevölkerung lebt.
Die Eindrücke von „Bergmannstrost“ noch im Kopf, geht es am nächsten Tag um die „Vision Zero“. Um die Vision einer Welt ohne Arbeitsunfälle und arbeitsbedingte Erkrankungen, um umfassende Prävention. Und um sieben goldene Regeln für sichere und ökonomische Textilproduktion in Pakistan.
Die „Vision Zero“ ist das Feld von Dr. Christian Bochmann vom Institut für Arbeit und Gesundheit (IAG). Bochmann wendet den Anspruch vom interaktiven Lernen in seinem Seminar konsequent an. Er hat das Training dafür entwickelt. Am Ende der Tage von Dresden soll jeder Teilnehmer „transfer projects“ mit in die Heimat nehmen. Ideen, wie die deutschen Systeme zumindest in Teilbereichen in Pakistan umgesetzt werden könnten. „Die Leader, die sich hier mit Engagement einbringen, sind die Leute, die im Land etwas voranbringen.“ Das weiß Bochmann aus Trainings in beiden Ländern.
Lernen mit Krokodilen
Sachlichkeit, Kreativität und Fantasie sind gefragt, wenn es im Lern-Spiel mit großen Puzzleteilen auf dem Fußboden plötzlich um Krokodile geht. Und um die Frage, wie man sich effektiv vor Gefahren in Industriebetrieben schützen kann. Reicht es, ein Schild aufzuhängen, das vor Gefahren beim Umgang mit Maschinen warnt? Oder muss man das „Krokodil“ im Werkraum zähmen oder gar einsperren?
„Alle sind motiviert dabei“, stellt Dorothee Hübner jeden Tag fest. „Sie sind sehr wissbegierig und lernfähig, dankbar über jeden Input, der sie in ihrem Fachbereich weiterbringt“. Die „Vision Zero“ ist angesichts der Strukturen in Pakistan noch eine weit entfernte Traumwelt. Aber alle eint der Glaube daran, dass Prinzipien des deutschen Arbeitsschutzes auch in Pakistan möglich sind. Sie sind zuversichtlich, in ihrem Land ähnliche Sozialversicherungssysteme wie die BG ETEM installieren zu können.