Komm mit, auf einen neuen Weg
Mitten in der Produktionshalle, zwischen zimmerhohen Metallbearbeitungszentren, steht eine mannshohe Holzbox mit durchsichtigem Vinylvorhang. Sie sieht aus wie eine Duschkabine. „Das ist auch eine, aber ohne Wasser und Seife“, erklärt Produktmanager Matthias König lachend.
In der Box hängt ein unscheinbarer schwarzer Kasten mit Schlauch. „Damit blasen unsere Produktionsmitarbeiter sicher Metallspäne von ihrer Arbeitskleidung ab.“ Früher hat das die Druckluftpistole erledigt, allerdings mit hohem Verletzungsrisiko. „Weil wir unsere Leute nicht ständig kontrollieren oder daran erinnern wollen, etwas nicht zu tun, haben wir auf Vorschlag eines Mitarbeiters dieses Gerät sofort angeschafft und es wird auch sehr gut angenommen.“ Die Luftdusche arbeitet wie eine Druckluftpistole mit hohem Volumenstrom, aber mit viel niedrigerem Druck.
Anders führen
Matthias König ist nicht nur Produktmanager, sondern auch Mitglied des Führungsteams. Seit knapp acht Jahren ist er in dem Unternehmen mit 240 Mitarbeitern, das Ladungssicherungsprodukte für die Automobil- und Luftfahrtbranche fertigt. Täglich gehen er und andere Führungspersonen hier durch die Produktion – aber nicht, um die Mitarbeiter zu kontrollieren, sondern um mit ihnen zu reden. „Das ist Führung durch Präsenz und hat bei uns einen sehr hohen Stellenwert“, erläutert König. „So erfahren wir, ob es den Leuten gut geht, wo es prima läuft und ob es Probleme gibt. Mögliche Komplikationen lassen sich so viel schneller lösen und lobende Worte wirken gleich, statt in einem Jahresgespräch bezugslos zu verpuffen.“ Führung nach dem Motto „Kommando und Kontrolle“ will hier niemand mehr, weil es sich als ineffizient bewiesen hat.
Früher, als Menschen weniger individualistisch und einfacher gebildet waren, folgten sie Anweisungen eher fraglos. Hierarchische Unternehmensstrukturen funktionierten deshalb lange sehr gut. Inzwischen ist das anders und Matthias König erklärt, warum: „Heute sind die Menschen höher gebildet und wollen oft eine sinnvolle Tätigkeit ausüben, bei der sie viele Kompetenzen und eigene Ideen einbringen können.“ Starre Strukturen und konservative Führungsstile führen bei solchen Beschäftigten zur psychischen Belastung, zu anhaltendem Frust und letztlich zur inneren oder echten Kündigung. „Das ist Gift für jedes Unternehmen, das sehr kundenorientiert und damit wirtschaftlich erfolgreich arbeiten will.“
Keine Alpha-Chefs mehr
Als Firmenchef Detlef Lohmann das Unternehmen 1999 als 41-Jähriger übernahm, war es klassisch-konservativ als Pyramide strukturiert: oben die Chefs, darunter die Mitarbeiter und ganz unten oder daneben die Kunden. Es gab voneinander abgetrennte Abteilungen mit Grabenkämpfen und ausgeprägten Zuständigkeiten. Lief etwas nicht, wurden Schuldige statt Lösungen gesucht. Der allein entscheidende Alpha-Chef kommandierte und kontrollierte seine Leute.
Die negativen Folgen waren für den neuen Firmeninhaber unübersehbar:
- lange und bürokratische Entscheidungswege,
- unselbstständige und auf Anweisungen wartende Beschäftige,
- unzufriedene Kunden und
- Vorgesetzte, die ihre Mitarbeiter demotivierten und sich im Klein-Klein des Tagesgeschäftes verloren statt strategisch-unternehmerische Ideen zu entwickeln.
Das alles gibt es heute nicht mehr. Das Wie und Warum hat Detlef Lohmann detailliert in dem Buch „… und mittags geh ich heim“ aufgeschrieben. Die Kurzfassung ist: Um in den veränderten Märkten und der gewandelten Arbeitswelt zu bestehen, brauchen Unternehmen heute andere Strukturen und Werte als früher. Lohmann hat damals begonnen, alles grundlegend, aber erfolgreich auf den Kopf zu stellen.
Vertrauen statt Kontrolle
Dieser Wandel hat nicht allen gefallen. „Manche Mitarbeiter wollten nicht ohne Arbeitsanweisungen und eigenverantwortlich arbeiten. Wir haben sie geschult und ihnen geholfen, um mitmachen und dabeibleiben zu können“, sagt Produktmanager Matthias König. Das klappte nicht immer, sodass sich gemeinsame Wege auch trennten.
Die jetzige Mannschaft ist offen für Veränderung und arbeitet innerhalb definierter Leitplanken frei und eigenverantwortlich. Was woanders die Ausnahme ist, beispielweise echte Vertrauensarbeitszeit ohne Kontrolle, Privattelefonate oder privates Surfen im Internet, sind bei allsafe ausdrücklich erwünscht. „Verbote beanspruchen die Kapazität der Leute, die dann für die Arbeit fehlt. Wer mehr darf, gibt auch mehr, wenn es mal brennt. Unsere Unternehmenskultur basiert auf Vertrauen.“
Damit das dauerhaft funktioniert, werden neue Mitarbeiter und deren Haltung vor der Einstellung gründlich geprüft. Danach sorgt das gesamte Team dafür, dass die Marschrichtung neuer Mitarbeiter stimmt. Trotzdem gibt es vereinzelt Beschäftigte, die sich mit dieser Art der Zusammenarbeit schwertun. Ihnen wird von Kollegen und Führungspersonen nach Kräften geholfen. Meistens finden alle Beteiligten dann zueinander, aber es kann auch sein, dass man sich trennt.
Fehlerkultur zahlt sich aus
Der Rundgang des Produktmanagers führt vorbei an zwei Montagelinien. Hier bauen Männer und Frauen emsig, aber nicht hektisch Sperrstangen zusammen. Diese werden später für den formschlüssigen Transport von Waren eingesetzt. Statt gehetzt und angespannt schneller zu arbeiten, wenn ein Manager um die Ecke kommt, wirken die Leute locker. Für die mitarbeitenden Kollegen und für Matthias König gibt es ein Lächeln mit freundlichem Blick. „Wir haben Arbeitsprozesse so gestaltet, dass weniger Stress für alle entsteht und die Kunden trotzdem ihre Produkte schnell bekommen“, sagt er. Interessiert erkundigt König sich, wie es läuft und ob es Probleme gibt. Kurz nach der Schichtübergabe ist gerade alles gut.
In den Gesprächen mit den Mitarbeitern geht es auch um Beinaheunfälle, Maschinenprobleme – und um Fehler. Dass man Fehler heute ohne Strafe offen ansprechen kann, hat vor einigen Jahren das Unternehmen vor einem existenziellen Schaden bewahrt. Zwei Entwickler änderten damals bewusst die Ausführung und das Verfahren für ein wichtiges Bauteil für Großkunden. Dabei machten sie aber einen gravierenden Fehler. Der fiel erst auf, als das Produkt schon ausgeliefert war. Statt den Fehler zu verheimlichen, informierten die Entwickler sofort den Geschäftsführer. Gemeinsam wurden daraufhin Lösungen erarbeitet, wie die betroffenen Kunden informiert und der Fehler beseitigt wird. Der Produktmanager erinnert sich: „Die Offenheit haben unsere Kunden damals sehr geschätzt. Selbstverständlich blieben die Entwickler im allsafe-Team, denn wer hätte den Fehler sonst finden können? Außerdem hätte eine Kündigung unsere Fehlerkultur zerstört.“
Die neue Führungskraft
Nicht nur Mitarbeiter müssen zum Unternehmen passen, sondern auch Führungskräfte. „Wir wollen Leute, die von sich selbst aus andere Menschen einbinden, fördern und wertschätzend behandeln. Fachwissen alleine reicht dafür nicht aus.“ Der Produktmanager hat die Erfahrung gemacht, dass gute Fachexperten auf zwischenmenschlicher Ebene nicht automatisch gute Führungskräfte sind. Aber genau die werden gebraucht, da inzwischen überwiegend in Prozessen gearbeitet wird.
Verschiedene Mitarbeiter und Manager aus unterschiedlichen Bereichen arbeiten gemeinsam an einem Ziel, beispielsweise bei einem Maschinenkauf. „Diese Prozessarbeit nutzt das Wissen aller, verlangt aber einen Rollentausch, wenn fachlich versiertere Mitarbeiter den Hut auf haben und nicht die Vorgesetzten.“ Sich führen zu lassen, erfordert von Führungskräften Charakterstärke. Wer sich selbst zurücknehmen und nicht so wichtig nehmen kann, dem fällt es leichter, so zu arbeiten.
Gerade Leute aus klassisch strukturierten Konzernen tun sich damit aber oft schwer. „Die wollen Chef eher wegen des höheren Gehaltes oder des höheren Status werden und weniger, um Mitarbeiter mitzunehmen und weiterzuentwickeln.“ Sie passten deshalb häufig nicht zu allsafe oder hielten es in den dortigen Strukturen nicht lange aus.